Das Familienmagazin für Potsdam und Umgebung

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Foto: Marek Brandt/AdobeStock

AD(H)S: Verträumt, verzappelt, abgelenkt

ADHS ist die Kurzform für „Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung“, von der in Deutschland etwa 500.000 Schulkinder – also eines von 25 – betroffen sind. Noch sind die Ursachen nicht endgültig geklärt, doch gilt als sicher, dass es ein Zusammenwirken von genetischen, neurobiologischen und umweltbedingten Faktoren gibt. Die Vermutung, verstärkter Medienkonsum sei die Ursache für die Entstehung, lässt sich laut Untersuchungen so nicht halten, doch können bei ausgiebiger Mediennutzung Symptome einer bereits vorhandenen ADHS zum Vorschein gebracht werden, ebenso wie andere Umweltfaktoren diese verstärken können.

Die drei typischen Anzeichen einer ADHS sind Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Überaktivität, wobei einige betroffene Kinder vorwiegend impulsiv-hyperaktiv reagieren, andere vor allem Konzentrationsprobleme haben. Bei manchen Kindern treten alle drei Merkmale auf. Hyperaktiv-impulsive Kinder springen plötzlich im Unterricht auf und rennen herum oder platzen mit Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende formuliert wurde. Oftmals wird dann eine Negativ­spirale in Gang gesetzt: die Kinder erfahren Unverständnis oder Abweisung, manche ziehen sich zurück oder reagieren mit Wutanfällen und einer geringen Frustrationstoleranz. Kinder mit vorwiegend Konzentrationsstörungen sind oft verträumt und benötigen oft viel länger, um Lerninhalte zu erfassen.

Die Diagnose wird mitunter schon im Kindergartenalter, oft jedoch erst im Alter von 8 bis 9 Jahren gestellt, wenn es Auffälligkeiten in der Schule gibt. 50 bis 80 Prozent aller von ADHS betroffenen Kinder weisen Begleit­erkrankungen auf. Am häufigsten sind dabei motorische Entwicklungsstörungen, die sich zum Beispiel als versehentliches Umstoßen von Gegenständen, Anstoßen an Türen und in einer ungelenken Handschrift zeigen. Auch depressive Störungen, eine Rechen- oder Lese-Rechtschreib-Schwäche und Tics wie Blinzeln oder Lautäußerungen treten gehäuft auf. Wenn es gelingt, die ADHS bereits zu diagnostizieren, bevor es zu negativen oder ablehnenden Reaktionen der Umwelt und zur Verfestigung von Begleiterscheinungen kommt, können dem betroffenen Kind und den auch immer mit betroffenen Familien unangenehme Erfahrungen erspart werden, zumal diese wiederum zu einer Verstärkung der Symptomatik führen können.

Sollten Eltern an ihrem Kind auffälliges Verhalten beobachten, das den Verdacht auf eine ADHS nahelegt, ist es ratsam, sich an eine Kinderärzt*in, eine entsprechende Beratungsstelle oder eine spezialisierte Therapeut*in zu wenden und dies nicht lange hinauszuzögern.

Wichtig ist eine genaue Diagnostik. Der Satz: „Wir versuchen es mal mit Ritalin“ sollte Eltern zum Einholen einer Zweitmeinung veranlassen, denn im sensiblen Bereich der Diagnostik kann die Schwierigkeit liegen: auf der einen Seite werden zu viele ADHS-Diagnosen gestellt („falsch positive“). Aber auch zu wenige: „ADHS-Kinder, die eher verträumt sind und nicht zappelig, werden meist erst spät oder gar nicht erkannt – sie fallen eben nicht als Störenfriede auf. Besonders selten sind verträumte Jungs – mit ihnen rechnet niemand“, so Dr. Myriam Menter, Vorsitzende von ADHS Deutschland e.V. Die korrekte Diagnostik aber stellt die Voraussetzung für eine adäquate und damit wirksame Behandlung dar. Zunächst werden diverse Tests – Konzen­trations-, Entwicklungs- und Intelligenztests – mit dem Kind durchgeführt. Zusätzlich sollten ausführliche Informationen aus verschiedenen Lebensbereichen des Kindes eingeholt werden, von den unmittelbaren Bezugspersonen und natürlich von der Kita bzw. Schule. Auch das Kind selbst wird befragt, um die Entwicklung sowie die Situation in der Familie, Kita oder Schule zu analysieren.

Aufklärung und Beratung aller Beteiligten, Intervention im Kindergarten oder in der Schule, oftmals verhaltenstherapeutische Maßnahmen und manchmal auch eine medikamentöse Therapie sind Bausteine der Therapie einer ADHS.

Was bewirken jedoch die viel diskutierten und kritisierten Medikamente eigentlich? Der Wirkstoff Methylphenidat beispielsweise ist ein Stimulans, das in den Dopaminhaushalt im zentralen Nervensystem eingreift. Vereinfacht ausgedrückt, wird es möglich, irritierende Nebenreize auszublenden, so dass die Betroffenen Gespräche und Aktivitäten länger verfolgen, sich auf relevante Inhalte konzen­trieren und angemessener reagieren können. Die Einnahme eines solchen Medikaments über einen bestimmten Zeitraum kann es, bei aller Skepsis, dem Kind ermöglichen, aus alten Verhaltensmustern herauszutreten und sich anders, nämlich konzentrierter und im sozialen Leben erfolgreicher, zu erleben, was wiederum eine positivere Reaktion der Umwelt nach sich zieht.

Die Kampagne „ADHS und Zukunftsträume“, hat das Anliegen, über die Erkrankung aufzuklären und Verständnis für die betroffenen Familien zu erzeugen. Der aus Ärztinnen und anderen Expertinnen zusammengesetzte wissenschaftliche Beirat der Kampagne fordert unter anderem, dass das Thema ADHS in die pädagogische Lehrerausbildung an den Hochschulen aufgenommen wird und ein spezielles ADHS-Screening bei den Vorsorge­untersuchungen (U-Untersuchungen) erfolgt, um Betroffene früher diagnostizieren und angemessen behandeln zu können. Die Kampagne hat sich auch zum Ziel gesetzt, den Blick auf das Potential der betroffenen Kinder zu richten. Dr. Myriam Menter: „ADHS-Kinder haben viele Gaben und Stärken. Sie sind oft hilfs­bereit, haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und setzen sich in ihrer direkten Art konsequent für andere ein.“

Weltweit sind etwa 5 Prozent aller Kinder und Jugendlichen von ADHS betroffen. Es handelt sich also mitnichten um eine Modeerscheinung unserer westlichen Kultur. Um ihnen eine gute Zukunft zu ermöglichen, braucht es Wissen über die Erkrankung und gute Rahmenbedingungen, keine pauschalen Vorurteile.

Aus PotsKids! Juli 2011

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