In der PEKiP-Gruppe: eines der Kinder fängt an zu weinen, auch Lucas – 8 Monate – verzieht sein Gesicht und bald weint die Hälfte der Gruppe. Auf dem Spielplatz: Hanna – 2 Jahre – sieht, dass ein kleineres Kind sich wehgetan hat, geht hin und tröstet es. In der Kita: Marius – 5 Jahre – streitet sich mit seinem gleichaltrigen Freund Ole, weil der ihm einfach den Stift weggenommen hat. „Du wärst doch auch sauer, wenn ich dir einfach den Stift wegnehmen würde!“ Ole überlegt kurz, mit einem „Ok, war blöd, tut mir leid“ gibt er Marius den Stift zurück und beide malen weiter. Drei Situationen, die sich zu ähneln scheinen – doch was haben sie jeweils mit Empathie zu tun? Bevor wir auf diese Frage eingehen können, stellt sich zunächst einmal eine andere …
Eine der vielen Definitionen beschreibt Empathie als „Die Fähigkeit, die (vermuteten) Gefühle eines anderen Menschen selbst nachzufühlen und sich in andere hineinzuversetzen“ – also nicht nur mit dem Verstand zu erfassen, was in dem Gegenüber vorgeht, sondern auch emotional mitzuerleben.
Empathie ist etwas, das zum großen Teil genetisch veranlagt ist, aber für seine Ausbildung und Entwicklung das passende Umfeld benötigt. Stress, Angst und Bindungslosigkeit behindern die Ausbildung von Empathie. Wobei jeder Mensch auch grundlegend eine unterschiedliche Sensibilität für die Wahrnehmung der Gefühle anderer mitbringt. Einige Kinder merken sehr schnell, was mit anderen los ist, andere benötigen Erklärungen für das soziale Verhalten ihrer Spielkameraden. Die Entwicklung der Empathie findet ein Leben lang statt und beginnt schon sehr früh in der Familie.
Eine der ersten Voraussetzungen für die Entwicklung von Empathie ist, dass ein Kind eine Vorstellung von sich selbst hat. Es muss sich selbst und andere als eigene Personen wahrnehmen. Dies geschieht erst mit circa 1,5 Jahren, wenn das Kind anfängt, „ich“ zu sagen und „meins“, wenn es sein Spiegelbild erkennt als „Das bin ich“. Von daher ist Lucas‘ Reaktion mit seinen 8 Monaten noch nicht wirklich empathisch, sondern eine angeborene Reaktion, die man „Gefühlsansteckung“ nennt.
Wenn ein Kind sich selbst als Person erkennt, beginnt bald die Phase der Autonomie – früher „Trotzphase“ genannt. Jetzt bildet das Kind seinen eigenen Willen aus. Es stellt nämlich fest, dass das, was es selbst will, nicht immer dasselbe ist, was sein Gegenüber möchte. Nun ist auch die Zeit, in der Kinder ein erstes Regelverständnis entwickeln. Sie merken, dass es Dinge gibt, die okay sind, und welche, die sie nicht machen sollen – auch wenn sie noch nicht wissen, warum das so ist. In dieser Zeit ist das Einfühlungsvermögen noch sehr ichbezogen, denn das Kind sieht sich selbst noch als den Mittelpunkt der Welt. Wenn es einem anderen Kind offensichtlich nicht gut geht, dann fühlt es das mit – sprich, es fühlt sich auch nicht gut – und um dies zu vermeiden, geht es hin und tröstet oder will helfen, damit es sich selbst auch besser fühlt, so wie es Hanna auf dem Spielplatz macht. Aber kurze Zeit später könnte Hanna auch einem Kind die Schaufel wegnehmen, ohne einen Gedanken daran, wie sich dieses dann fühlt.
Die vorwiegend ichbezogene Phase erstreckt sich bis ins 4. Lebensjahr hinein. Erst mit 4 bis 5 Jahren sind Kinder so weit, dass sie sich wirklich in andere hineinversetzen können, dass sie eine Vorstellung davon entwickeln, was der andere fühlen könnte. Dann können sie auch die Absichten, Vorstellungen und Wünsche anderer verstehen und vorhersagen.
Empathie ist eine wesentliche Bedingung für Freundschaften, gute Beziehungen, soziales Verhalten und zum Lösen von Konflikten. Für all dies ist es hilfreich, sich in andere hineinversetzen zu können, andere Sichtweisen einnehmen zu können. Daher ist es wichtig, dass Kinder die Chance haben, Empathie zu entwickeln.
Doch es gibt tatsächlich auch ein „Zuviel“ davon. Wenn Kinder die Gefühle anderer Manschen zu stark wahrnehmen und sich selbst nicht ausreichend abgrenzen können, zum Beispiel weil sie von Natur aus sehr sensibel sind, laufen sie Gefahr, ihre Entscheidungen vorwiegend danach zu treffen, was dem anderen guttut, um die schlechten Gefühle abzustellen. Ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle treten dann in den Hintergrund und sie achten vielleicht nicht mehr auf sich selbst. Oder sie ziehen sich zurück. Auch aggressives Verhalten als Abwehr ist eine mögliche Reaktion.
Für den Aufbau einer gesunden Empathie ist es daher wichtig, dass Kinder ihre eigenen Gefühle gut (er-)kennen und die Fähigkeit entwickeln, einen inneren Abstand aufzubauen, damit der Verstand für Entscheidungen mit einbezogen wird – manche Psychologen definieren diese Kombination aus „Mit-dem-anderen-fühlen“ und innerem Abstand als „Mitgefühl“!
Empathie fällt uns meist leichter, je näher uns die andere Person oder auch Personengruppe steht. Ein „Wir-Gefühl“ baut die Barrieren leichter ab, auch ohne eigenen Vorteil anderen zu helfen. Das haben Studien belegt. Wir leben in einer Welt, in der wir zunehmend aufeinander angewiesen sind und das „Wir“ könnte auch einfach „Wir Menschen“ heißen, oder? Daher wäre es sinnvoll und wünschenswert, ebenso Menschen Mitgefühl entgegenzubringen, die vielleicht ganz anders als wir selbst sind und die uns zunächst fremd erscheinen. Autorin: Nicole Luft