Der Anspruch an das, was Kinder leisten sollen, ist deutlich gestiegen. Das meint auch Annette Dreier, Professorin für „Pädagogik der Kindheit“ an der Fachhochschule Potsdam. Sie leitet dort den Studiengang „Bildung und Erziehung in der Kindheit“. Das Interview führte Maren Herbst.
Frau Dreier, wie sieht sinnvolle kindliche Förderung aus?
Prinzipiell wichtig ist ein entwicklungsbezogenes Angebot für das Kind, das seinen Interessen folgt. Eltern sollten genau hinsehen, was ihr Kind tun möchte und braucht. Angebote, die die Interessen der Kinder aufgreifen, sind gut. Kleine Kinder zeigen ihre Interessen durch ihre Neugier. Bei Kleineren und Größeren ist es gut, ihrem Wissendurst zu folgen und zum Beispiel auf ihre Entdeckungs- und Bewegungslust einzugehen. Es kommt dabei darauf an, eine gute Balance zu finden und den Kindern zwischen Aktivität und Passivität genug Spielraum zu lassen. Eltern, aber auch Lehrerinnen und Lehrer, erwarten manchmal zu früh zu viel von den Kindern. Seitens der Erwachsenen ist aber vor allem Feinfühligkeit wichtig. Kinder sollten empathisch, sensibel und aufmerksam beobachtet und begleitet werden.
Sind Eltern heutzutage zu ehrgeizig?
Der Anspruch an das, was Kinder leisten sollen, ist deutlich gestiegen. Manche Grundschüler haben einen Tagesablauf wie ein Manager. Dabei stehen auch Eltern unter Druck, ihre Kinder könnten etwas verpassen, wenn sie nicht alle Chancen und Angebote nutzen. Es gibt ja auch Elternratgeber, die von bestimmten „Zeitfenstern“ sprechen, in denen Kinder unbedingt Englisch oder Geige lernen müssten. Diese Theorien halte ich für Quatsch. Kinder können an diesem Druck zum „Vieles schnell können müssen“ auch zerbrechen.
Welche Rolle spielt die Schule?
Studien zeigen, dass sich die Beziehung von Kindern zu ihren Eltern, insbesondere zu ihren Müttern, mit der Einschulung leider verschlechtert. Das liegt unter anderem daran, dass vor allem den Müttern die Rolle zukommt, Terminpläne und Pflichten ihrer Kinder zu überwachen und das Lernprogramm der Schulen auch zu Hause mit „abzuarbeiten“. In Skandinavien hingegen kümmern sich die Lehrerinnen und Lehrer um die Kinder, wenn etwas nicht klappt. Sie haben den Anspruch, dass jedes Kind gut mitkommt in der Schule. In Deutschland wird das leider zu einer Aufgabe der Eltern gemacht. Hier liegen noch viele Herausforderungen für Pädagoginnen und Pädagogen, denn eine neue Studie aus den USA zeigt, dass für die Qualität der Schulbildung vor allem eine gute Beziehung zwischen Lehrern und Schülern entscheidend ist.
Was raten Sie?
Eltern sollten sich Zeit mit ihren Kindern bewahren und genießen, wie sich ihre Kinder entwickeln. Gerade das frühkindliche Alter ist das intensivste Lernalter. Es macht viel Spaß, Kinder bei ihrem Lernen und Genießen zu begleiten. Für eine gesunde körperliche und seelische Entwicklung von Kindern ist eine liebevolle Umgebung ausschlaggebend, und auf dieser Basis des Wohlbefindens lernen Kinder am besten. Zustimmung und Zutrauen zum Kind sind dabei die wichtigste Unterstützung seitens der Erwachsenen. Grundsätzlich kann man sagen: Die meisten Kinder brauchen keine „Beschäftigung“, sondern eine interessante Umgebung, Menschen, die sie mögen und unterstützen, und viele Freunde!
Aus PotsKids! Dezember/Januar 2014/15