Das Familienmagazin für Potsdam und Umgebung

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Foto: s-motive/AdobeStock

„Du bist dazu einfach zu dumm“

Lehrer*innen dürfen Schüler*innen nicht schikanieren

Gewalt in der Schule ist immer wieder ein Thema in der Öffentlichkeit. Meist geht es um Schüler*innen, die ihre Lehrer*innen attackieren oder sich mit Mobbing gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Es gibt aber auch Lehrer*innen, die, sei es aus Überforderung oder aus Uneinsichtigkeit, Schüler*innen unangemessen behandeln. Sie sind – zum Glück – die Ausnahme, aber es gibt sie. Neben oft relativ klar auszumachender physischer Gewalt erfahren Schüler*innen mitunter auch grenzüberschreitende emotionale Übergriffe.

Für eine Studie der TU München aus dem Jahr 2006 wurden mehr als 400 Schüler*innen nach Erlebnissen mit Lehrergewalt befragt. Auch 100 Lehramtsstudent*innen beantworte­ten die Fragen. Zwölf Prozent der Schüler*innen und achtzehn Prozent der Studentinnen berichteten, sie hätten mindestens einmal körperliche Gewalt erlebt. Fast jeder Dritte gab an, bereits Opfer schwerer verbaler Aggressionen eines Lehrenden gewesen zu sein.

Dabei hat die Beziehungsqualität zwischen Lehrenden und Schüler*innen eine enorme Bedeutung. Insbesondere jüngere Kinder sind in der Regel unvoreingenommen und haben positive Erwartungen bezüglich des Verhältnisses zu ihrem Lehrer oder ihrer Lehrerin. Mitunter macht genau das es schwierig, unangemessenes verbales Verhalten zu deuten und es dann auch noch zu äußern. Und: bissige Kommentare, Bloßstellungen und Beleidigungen oder komplettes Ignorieren eines Schülers werden oft verharmlost. Doch es kann Schüler*innen das Lernen verleiden, zu Schulangst und psychosomatischen Störungen führen.

Wenn Schüler*innen bemerken, dass sich ein Lehrer oder eine Lehrerin nicht korrekt verhält, indem beleidigende Äußerungen fallen oder Kinder verbal „klein gemacht“ werden, kommt meist erst einmal ein Gefühl der Hilflosigkeit auf. Ehe weitere Personen wie etwa andere Lehrerinnen oder die Eltern informiert werden, vergeht oftmals einige Zeit, während der das Kind weiterhin den Übertretungen ausgesetzt ist. Viele Eltern wagen es zunächst nicht, dagegen vorzugehen – aus Angst, die Situation für ihr Kind zu verschlimmern.

Stephan Breiding, Pressesprecher im Landesministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS), geht davon aus, dass es sich bei Lehrer*innen, die Schüler*innen schikanieren oder gar handgreiflich werden, um „seltene Einzelfälle“ handelt. Eine Statistik dazu gibt es in Brandenburg nicht. „Jede Form von psychischer oder physischer Gewalt ist vollkommen inakzeptabel. Eltern müssen im Interesse ihrer Kinder aktiv werden“, sagt Breiding. „Die Schulen haben bei derartigen Vorkommnissen keinen Ermessensspielraum. Sie müssen unverzüglich die ‚Untere Schulaufsicht‘ informieren.“ Für Potsdam ist das das Staatliche Schulamt Brandenburg an der Havel.

Das Schulamt muss jeden Fall prüfen, kann Lehrer*innen vom Dienst suspendieren, Strafanzeige stellen und die Entfernung aus dem Schuldienst beschließen. Ob und wie oft so etwas bereits vorgekommen ist, wollte die Behörde nicht mitteilen. Parallel dazu können auch die Eltern des betroffenen Kindes Strafanzeige bei der Polizei stellen. Die Befürchtung, dass Lehrer*innen, die Gewalt ausüben, einfach an eine andere Schule versetzt würden, sei nicht richtig, so Breiding. „Die Schulleitungen handeln äußerst verantwortungsvoll. Eine Ohrfeige hätte auf jeden Fall ernste Konsequenzen.“

Was ist aber nun mit Lehrer*innen, die Schüler*innen für missglückte Arbeiten bloßstellen, sie auslachen oder mit ironischen Bemerkungen beleidigen? Wer jungen Menschen Angst einjagt, behindert sie in ihrer Leistungsfähigkeit. Das kann über „spaßig“ gemeinte Kopfnüsse oder auch Zensuren laufen. „Noten dürfen nicht als Erziehungsmittel missbraucht werden, sondern sollen ausschließlich die Leistung messen“, betont Breiding.

Kinder, die sich regelmäßig Sprüche wie „Du lernst das nie“ oder „Du gehörst auf die Sonderschule“ anhören müssen, sollten auf die Unterstützung ihrer Eltern bauen können. Und diese sollten sich trauen, aktiv zu werden. Manchmal reicht ein Gespräch mit den betreffenden Lehrenden, um das Verhalten abzustellen. Auch ein Gespräch mit der Schulleitung oder mit einer anderen Vertrauensperson aus dem Lehrerkollegium kann eventuell helfen. Eine Anlaufstelle, um sich von einer neutralen Person beraten zu lassen, ist die schulpsychologische Beratung der Staatlichen Schulämter. „Wir haben kein Patentrezept. Jeder Fall ist individuell zu lösen“, betont Schulpsychologin Andrea Bressel von der Außenstelle Potsdam.

Ulrike Borg vom Verein „Paragraph 13“, dem Träger Potsdamer Schulsozialarbeit, rät dazu, keinesfalls zu schweigen. Als Projektleiterin ist sie für die Schulsozialarbeit an zehn Potsdamer Schulen zuständig. „Schülern an weiterführenden Schulen ist es schnell peinlich, wenn sich die Eltern einschalten. Sie können Klassen- oder Schülersprecher ansprechen und sich untereinander austauschen.“ Ein guter Rahmen dafür sei etwa ein Klassenrat, in dem die Klasse im Beisein eines Lehrenden einmal wöchentlich ihre Anliegen bespricht. „Die Schüler können sich gegenseitig fit machen, Verbündete suchen oder einen Vertrauenslehrer einschalten, um mit dem betreffenden Lehrer zu sprechen“, sagt Borg. Auf jeden Fall lasse sich durch ein Mediationsgespräch mehr erreichen als durch Schweigen oder unbedachtes Vorpreschen der Eltern.

Natürlich dürfen Lehrer*innen auch mal wütend oder ärgerlich werden. Aber Schüler*innen „klein zu machen“, indem sie sie als Person entwerten, ist absolut inakzeptabel. Gutes Lernen kann nur funktionieren, wenn sich ein Kind gut aufgehoben, verstanden und akzeptiert fühlt. Autorinnen: Maren Herbst & Ariane Linde

Beratung & Hilfe

Schulpsychologische Beratung
schulaemter.brandenburg.de

Paragraph 13 e.V.
www.schulsozialarbeit-brandenburg.de

„Nummer gegen Kummer“ (Deutscher Kinderschutzbund)
0800.111 0 333

Dienstaufsichtsbeschwerden nimmt das Staatliche Schul­amt Brandenburg an der Havel entgegen: 03381.39 74 00

Aus PotsKids! September 2014

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