Montag Saxophon, Dienstag Ballett, Mittwoch Theatergruppe und Donnerstag Schwimmen – Hannas Freizeitprogramm füllt die Nachmittage ganz schön aus. Die achtjährige Grundschülerin freut sich, dass sie so viele tolle Sachen in ihrer Freizeit machen darf. Aber für spontane Verabredungen mit ihren Freundinnen oder für scheinbar sinnloses Herumtrödeln bleibt kaum Zeit. „Ich verstehe nicht, dass sie so oft jammert, wenn es gleich nach der Schule noch zum Ballettunterricht oder in die Musikschule geht“, sagt ihre Mutter. „Sie will doch unbedingt Ballett machen und Saxophon lernen.“
So wie Hanna geht es vielen Kindern. Schon Kitakinder haben oft ein volles Programm: Musikalische Früherziehung, Englisch, Fußball, Zirkusschule oder Yoga. Bei so vielen Angeboten für die Kleinen heißt es, überlegt auszuwählen und vor allem nicht zu viel auf einmal anzugehen. Manchmal ist das schwierig, denn Kinder wollen die Welt entdecken und haben zu fast allem Lust. Natürlich ist es toll, wenn sie sportlich, musikalisch und künstlerisch kreativ sind und mit Begeisterung bei allem dabei sind. Kinder sind von Natur aus wissbegierig und lernen unheimlich schnell. Oft geschieht das ganz nebenbei beim Spielen. Dass viele Eltern ihrem Nachwuchs über organisierte Angebote möglichst viel mit auf den Weg geben möchten, ist nachvollziehbar.
Wohl jeder hat schon einmal von den Zeitfenstern bei der Vernetzung von Nervenzellen im menschlichen Gehirn gehört: Nach Erkenntnissen der Hirnforschung ist die Aufnahmekapazität des Gehirns in jungen Jahren besonders groß. Genutzte Verknüpfungen im Hirn bleiben bestehen, ungenutzte werden wieder „eingeschmolzen“. Viele Eltern lassen sich durch solche Erkenntnisse unter Druck setzen. Statt entspannt abzuwarten, welche Interessen sich bei ihrem Kind herausbilden, sind sie von Sorge erfüllt, nicht alles Potenzial zu nutzen. Dabei kann jeder Mensch lebenslang lernen, wie der Neurodidaktiker Herbert Beck in seinem Aufsatz „Neurodidaktik oder Wie lernen wir?“ betont. ExpertInnen warnen vor einer verplanten Kindheit, die nicht genug Freiräume für eine individuelle und gesunde Persönlichkeitsentwicklung bietet. Dazu passt das afrikanische Sprichwort: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“
Kinder lernen permanent im Alltag und im Spiel. Durch Beobachten, Ausprobieren, Erforschen bilden sie sich ständig fort. Mußestunden sind nötig, um die vielen Erlebnisse zu verarbeiten und selbst Fantasie entfalten zu können. Nur wer Zeit zum Trödeln und zur Langeweile hat, wird selbst initiativ und kreativ. Prasselt zu viel auf das Kind ein, wird es schnell passiv. Auch Erwachsenen tut es gut, einfach mal Zeit haben, nichts tun zu müssen und vor sich hin zu träumen. Oft kommen einem dann die besten Ideen.
Es gibt kein Patentrezept dafür, wie viel Förderung sinnvoll ist. Die Grenzen zwischen Fördern und Überfordern sind manchmal fließend. Anregungen und Reize fördern Kreativität und Neugier – auf das richtige Maß kommt es an. Eltern kennen ihr Kind am besten. Sie können es realistisch einschätzen und können es vor Stress bewahren. Fühlt es sich von Terminen gehetzt und geht nur noch widerwillig zum ehemals geliebten Turnen oder Musizieren, ist das Freizeitprogramm wahrscheinlich zu umfangreich. Auch Kinder, die zwischen Kita und Musikschule nichts mit sich anzufangen wissen, haben vielleicht ein übervolles Programm. Jedes Kind ist anders: Manche sind mit mehreren Kursen pro Woche glücklich, andere empfinden schon einen Termin wöchentlich als zu viel. Oft können Kinder das selbst recht gut einschätzen und sagen offen, dass sie mehr Zeit zum Spielen und für Freunde haben möchten.
Wer die Begabungen und Interessen seines Kindes erkennt und diese fördern will, sollte das auch in den Alltag integrieren. Liebe, Aufmerksamkeit, viel Bewegung, eine gesunde Ernährung und die Ermutigung zur Selbständigkeit sind ein wertvolles Fundament für eine gute Entwicklung. Ausgeglichenheit, Selbstbewusstsein, Kreativität und Lust am Lernen sind Eigenschaften, von denen Kinder ein Leben lang profitieren. Das können Eltern auch durch gemeinsames Spiel oder gemeinsame Unternehmungen fördern. Autorin: Maren Herbst
Aus PotsKids! Dezember/Januar 2014/15