Das Familienmagazin für Potsdam und Umgebung

Unser Poki sagt Hallo!

Das Familienmagazin für Potsdam und Umgebung

Foto: Laila Mehlis

Kinder und Jugendliche als IMs der Stasi

Das Thema des neuesten Jugendromans von Grit Poppe

Laila Mehlis, Praktikantin bei PotsKids! und Literaturstudentin, hat sich für uns mit der Autorin Grit Poppe in der Lindenstraße vor dem sogenannten „Lindenhotel“, dem ehemaligen Stasigefängnis Potsdams, getroffen. Grit Poppe schreibt Kinder- und Jugendbücher, aber auch Bücher für Erwachsene. Laila Mehlis hat mit ihr über ihre Neuerscheinung „Verraten“ und deren Thematik, minderjährige Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Stasi und Heime in der DDR, gesprochen. Hier ein Auszug aus dem Interview.  Die Vorstellung des Buches findest du hier: potskids.de/medien/verraten

Wir treffen uns in der Lindenstraße. Möchten Sie erläutern, warum wir uns hier treffen und wie das im Zusammenhang mit Ihrem Werk „Verraten“ steht?

Grit Poppe: Das „Lindenhotel“ war ein Haftort für politische Gegner der SED oder auch solche, die die Stasi dafür gehalten hat. Heute finden hier viele Zeitzeugengespräche statt. Hin und wieder bin ich dort mit einer Lesung, die manchmal auch von einem Zeitzeugengespräch begleitet wird. In „Verraten“ geht es um Jugendliche, die mit der Stasi zu tun bekamen. Deswegen dachte ich, passt es gut, wenn wir uns hier vor dem „Lindenhotel“ treffen.

Warum wollen Sie das Thema DDR Kindern und Jugendlichen näher bringen?

Grit Poppe: Das fing an, als mein Sohn in der 10. Klasse war, da passierte nicht viel zu dem Thema. Gleichzeitig verfolgte uns diese Ostalgie-Welle. Es wurde eben nicht thematisiert, dass es eine Diktatur war, dass Menschen dort unschuldig leiden mussten. Ich wollte etwas zu dem Thema finden, was Jugendliche interessiert, und bin auf den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau gestoßen. Ich habe mir die Gedenkstätte angeschaut und mit einer Mitarbeiterin geredet. Sie hat mich mit Zeitzeugen in Verbindung gesetzt. Mit denen habe ich mich dann getroffen und wusste ziemlich rasch, dass mein Thema Torgau und die drastischen menschenverachtenden Umerziehungsmaßnahmen dort sein würden. Ich habe dann schnell angefangen zu schreiben, weil ich die Eindrücke der Zeitzeugengespräche nutzen wollte. So ist „Weggesperrt“ entstanden – der erste der inzwischen vier Jugendromane mit DDR-Thematik.

Wie sind Sie bei der Recherche von „Verraten“ vorgegangen?

Grit Poppe: Ich habe zunächst Dokumentarfilme zum Thema gesehen, Sachbücher dazu gelesen. Schwierig war es, Zeitzeugen zu finden, weil die ehemaligen minderjährigen IMs heute zwar zu Recht als Opfer gelten, weil sie missbraucht wurden, aber eben auch Leute bespitzelt haben. Viele gibt es also nicht, die darüber reden wollen. Die Führungs-Offiziere dieser jugendlichen IMs erschlichen sich das Vertrauen der Minderjährigen und haben so getan, als wären sie deren Freunde. Gelernt haben sie das alles übrigens in Golm an der Juristischen Hochschule des MfS, dem Lehrstuhl für operative Psychologie. Neben Zersetzungsmaßnahmen wurde dort unter anderem gelehrt, wie sie Jugendliche dazu bekommen, Aufträge für sie zu übernehmen.

2019 erschien der Dokumentarfilm „Stasi im Kinderzimmer“, der wurde von der Stiftung Aufarbeitung gezeigt und ich bekam eine Einladung. So habe ich erfahren, dass Christian Ahnsehl, ein Zeitzeuge, dort im Podium saß. Ich bin hingefahren und habe ihn angesprochen. Er hat mir später seine Akte gegeben und wir haben uns über seine Geschichte unterhalten. Ich hatte mir vorher schon Berichte über das in Golm gelernte Vorgehen der Stasi-Offiziere angesehen. Die Akte von Christian Ahnsehl hätte man praktisch danebenlegen können. Der Stasimitarbeiter hat das bei ihm 1:1 genauso gemacht, wie es in der Stasihochschule gelehrt wurde. Er ist genau nach Plan vorgegangen.

Warum ist es Ihnen so wichtig, mit Zeitzeugen zu reden?

Grit Poppe: Man muss die Geschichte der Opfer kennen. Bei einem letzten Interview erzählte mir ein Zeitzeuge Dinge, die ich nie für möglich gehalten hätte. Er hat seine Geschichte zum ersten Mal erzählt. Das habe ich auch schon öfter erlebt. Viele haben alles jahrelang verdrängt und haben jetzt psychische Probleme, aber wissen nicht, wo sie hingehen sollen, denn es gibt zu wenig Psychologen, die sich mit dieser Thematik auskennen.

Könnten Sie das Vorgehen der Stasi an dem Fall des Protagonisten Sebastian darstellen?

Grit Poppe: Sebastian kommt in das Durchgangsheim Bad Freienwalde, so ziemlich das schlimmste Durchgangsheim, weil es wie der Geschlossene Jugendwerkhof ein Gefängnis war. Sebastian schafft es raus, weil ein Erzieher seinen Vater kontaktiert und dieser ihn abholt. In der Schule, im Büro des Direktors, erhält Sebastian gleich Besuch von der Stasi. Die sind oft in Schulen gegangen. Der Stasi-Offizier fragt ihn, ob er wusste, dass sein Vater im Knast war. So bekommt er Sebastian dazu, dass dieser mehr wissen will. Sie treffen sich nochmal und eine Normalität entsteht. Allmählich kommen dann konkrete Fragen. Erst als Sebastian die Verpflichtungserklärung unterschreibt, erfolgt der eigentliche Auftrag, dass er seinen Vater überwachen soll, weil dieser als politischer Gegner gilt.

Sebastian ist später aus der ganzen Sache mit der Stasi raus gekommen. Funktionierte das damals wirklich so “einfach“?

Grit Poppe: Wenn man sich dekonspiriert hat, dann hat die Stasi einen meist fallengelassen. Das heißt aber nicht, dass man danach keine Schwierigkeiten mehr hatte. Es war bei vielen so, dass sie anschließend noch überwacht wurden. Sogenannte „missliebige Bürger“ bekamen nicht selten auch einen PM12, also einen Ersatzausweis – verbunden mit sehr eingeschränkten Rechten.

Wie könnte man die anfängliche Abwehrhaltung der Jugendlichen dem Thema gegenüber ändern?

Grit Poppe: Ich würde auf jeden Fall raten, in Gedenkstätten zu gehen und Zeitzeugen zu sprechen. Die Schulen sollten diese Angebote wirklich mehr nutzen. Sie sollten vor allem nicht nur Faktenwissen vermitteln, sondern auch, was Menschen erlebt haben und was dort passiert ist, wie es den Betroffenen heute geht, also die realen Geschichten.

Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, eine Lesung mit Gespräch aus „Weggesperrt“ oder auch aus dem neuen Buch „Verraten“ in der Schule durchzuführen – auf Wunsch auch mit Zeitzeugengespräch. In einigen Schulen wurde ja „Weggesperrt“ schon gelesen – und das Feedback der Schülerinnen und Schüler war fast immer positiv.

Dieses Jahr ist von Ihnen nicht nur das Buch „Verraten“ erschienen, sondern auch andere Werke. Was für Bücher sind das und arbeiten Sie schon an einem neuen Projekt?

Grit Poppe: Es ist „Alice Littlebird“ erschienen, ein Kinder- und Jugendroman. Dabei geht es um die Kinder der First Nations in Kanada, die in sogenannte Residential Schools gesperrt wurden zur christlichen Umerziehung. Das ist verbunden mit einer Abenteuergeschichte. Auch ein Roman für Erwachsene wurde veröffentlicht, „Angstfresser“, eine Traumatisierungsgeschichte, die im Heute spielt, aber auch mit der DDR zu tun hat. Dann ist auch noch mein erstes Bilderbuch erschienen „Wilma Wunderhuhn“ für die ganz Kleinen. Momentan arbeite ich an einem Sachbuch zum Thema Umerziehung. Hauptsächlich soll es um die Geschichten der Zeitzeugen gehen.

Weitere Infos zu den Büchern von Grit Poppe findest du auf:
www.grit-poppe.de

Anzeigen

Das könnte dich auch interessieren:

Zur Themen-Übersicht