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Foto: Ricarda Braun/AdobeStock

Resi­li­enz – Von Löwen­zahn­kin­dern und Orchideenkindern

Armut, Tren­nung, Miss­hand­lung, Eltern mit Dro­gen­pro­ble­men – Kin­der, die in der­ar­ti­gen Kon­tex­ten auf­wach­sen, haben ver­mut­lich schwe­re Aus­gangs­be­din­gun­gen für ihre Ent­wick­lung. Den­noch haben Forscher*innen fest­ge­stellt, dass es Kin­der gibt, die psy­chisch so robust sind, dass sie auch unter schwie­rigs­ten Bedin­gun­gen gesun­de, bezie­hungs­fä­hi­ge und zufrie­de­ne Erwach­se­ne wer­den. Wie kann das sein? Mit die­ser und ande­ren Fra­gen befasst sich seit den 50er Jah­ren die Resilienz-Forschung.

Resi­li­enz ist ursprüng­lich ein Begriff aus der Mate­ri­al­for­schung, der auf die mensch­li­che Psy­che und Ent­wick­lung ange­wen­det so etwas wie „Wider­stands­fä­hig­keit“ bedeu­tet. Kin­der, Fami­li­en oder Erwach­se­ne wer­den als resi­li­ent bezeich­net, wenn sie auch unter unge­wöhn­lich schwie­ri­gen Bedin­gun­gen ohne emo­tio­na­le oder psy­chi­sche Fol­ge­schä­den gesund bleiben.

Die­se Wider­stands­fä­hig­keit wün­schen wir uns doch alle für uns und unse­re Kin­der, oder? Ins­be­son­de­re in die­sen Pan­de­mie­zei­ten, wo vie­le Kin­der und Fami­li­en ja schon seit zwei Jah­ren unge­wöhn­lich schwie­ri­gen Bedin­gun­gen aus­ge­setzt sind. Doch haben wir dar­auf Ein­fluss? Kann man Resi­li­enz för­dern oder gar erlernen?

„Jeder kann resi­li­en­ter wer­den und das ler­nen“, ist sich Nico­le Schö­be, Resi­li­en­z­trai­ne­rin aus Pots­dam, sicher. Die Sys­te­mi­sche Kinder‑, Jugend- und Fami­li­en­be­ra­te­rin hat soeben ihre Aus­bil­dung zur Resi­li­en­z­trai­ne­rin für Fami­li­en abge­schlos­sen und erklärt, dass es zwar auch Kin­der gibt, die von ihrer Ver­an­la­gung her schon sehr resi­li­ent sind, dass man aber her­aus­ge­fun­den hat, dass es ver­schie­de­ne Fak­to­ren (sie­he Sei­te 10) gibt, die man durch­aus beein­flus­sen und ent­wi­ckeln kann, um Resi­li­enz zu för­dern. Am wich­tigs­ten für Kin­der sei­en dabei die Eltern oder ande­ren Bezugs­per­so­nen, die als Vor­bil­der die­nen. Wenn die­se eine kon­struk­ti­ve Hal­tung bei der Pro­blem­be­wäl­ti­gung zeig­ten, macht es das Erler­nen von Wider­stands­fä­hig­keit und Sta­bi­li­tät für die Kin­der sehr viel einfacher.

2019, kurz vor Aus­bre­chen der Coro­na­pan­de­mie, erschien Tho­mas Boy­ces Buch „Orchi­dee oder Löwen­zahn? – War­um Men­schen so unter­schied­lich sind und wie sich alle gut ent­wi­ckeln kön­nen“. In sei­nem Buch nann­te er die Kin­der, die eine natür­li­che Wider­stands­fä­hig­keit mit­brin­gen, „Löwen­zahn­kin­der“ mit der „Blü­he, wo du gepflanzt bist“-Fähigkeit. Beson­ders wich­tig ist ihm, dass jedoch auch die sen­si­ble­ren Kin­der, die er „Orchi­deen­kin­der“ nennt, „… über eine ein­zig­ar­ti­ge Kom­bi­na­ti­on phy­sio­lo­gi­scher und psy­cho­lo­gi­scher Eigen­schaf­ten [ver­fü­gen], und ein Ver­ständ­nis die­ser Nei­gun­gen kann zu mehr Bewusst­sein, Erfolg und Zufrie­den­heit füh­ren.“ (S. 13). Allen Kin­dern sei es daher mög­lich, Wider­stands­fä­hig­keit zu entwickeln.

Wie ent­wi­ckelt sich Resilienz?

Schon im Säug­lings­al­ter geht es los – eine gute Bin­dung zu den Eltern in die­ser früh­kind­li­chen Pha­se ist der ers­te Bau­stein der Resi­li­enz-Ent­wick­lung. Im Klein­kind­al­ter erlernt das Kind mit zuneh­men­der sprach­li­cher und geis­ti­ger Ent­wick­lung, sich aus­zu­drü­cken, die eige­nen Gefüh­le zu benen­nen und Gedan­ken zu for­mu­lie­ren. Kin­der bil­den idea­ler­wei­se ein posi­ti­ves Selbst­bild aus, ler­nen, ihre Gefüh­le nicht nur zu erken­nen, son­dern auch zu steu­ern, und erle­ben sich als selbst­wirk­sam: sie erfah­ren, dass sie ihre Umwelt beein­flus­sen kön­nen und dass ihr Han­deln etwas bewirkt. So ent­wi­ckeln sie zuneh­mend Pro­blem­lö­se­stra­te­gien und kön­nen die­se anwen­den. Sie kön­nen Zukunfts­zie­le for­mu­lie­ren und die­se ziel­stre­big ver­fol­gen. Mit einer opti­mis­ti­schen Hal­tung über­neh­men sie die Ver­ant­wor­tung für ihr Han­deln und schie­ben eige­ne Miss­erfol­ge nicht auf ande­re. In einem guten sozia­len Kon­text kön­nen sie auf Unter­stüt­zung hof­fen und die­se gege­be­nen­falls einfordern.

Das ist – kurz skiz­ziert – die ide­al­ty­pi­sche Ent­wick­lung. Doch wie kön­nen wir Eltern unse­re Kin­der kon­kret unterstützen?

Was kön­nen wir Eltern tun?

Zunächst sind wir die ers­ten Bezugs­per­so­nen unse­rer Kin­der, wir geben ihnen Halt, Gebor­gen­heit und Sicher­heit. Man hat fest­ge­stellt, dass eine fes­te Bezugs­per­son, die einem Kind Wert­schät­zung und Ver­ständ­nis ent­ge­gen­bringt, schon für die Resi­li­enz-Ent­wick­lung aus­rei­chend sein kann. Auch der Kon­takt mit Gleich­alt­ri­gen und Bezie­hun­gen zu Erzie­hen­den stär­ken die Resi­li­enz. „Ich bin für dich da“ ist die Bot­schaft, die für Kin­der wich­tig ist. So kön­nen sie bei Bedarf ein offe­nes Ohr fin­den, egal, was sie bewegt.

Wich­tig ist es, mit unse­ren Kin­dern von Anfang an in Kon­takt zu sein, mit ihnen zu spre­chen, zu kom­mu­ni­zie­ren – nicht der Blick aufs Smart­phone, son­dern der Augen­kon­takt im Kin­der­wa­gen, die frü­he Anspra­che ist hier för­der­lich. Schon früh Gefüh­le zu benen­nen – „Bist du wütend, weil der Ball weg­ge­rollt ist?“ – hilft Kin­dern, ihren Zustand wahr­zu­neh­men, bald Wor­te dafür zu fin­den und sich dann aus­drü­cken zu kön­nen. Auch nega­ti­ve Gefüh­le haben hier ihren Platz und müs­sen nicht sofort weg­ge­trös­tet oder weg­ge­re­det werden.

Kin­der soll­ten sich als selbst­wirk­sam erle­ben. Sie haben einen eige­nen Wil­len, der sich durch­aus von den Vor­stel­lun­gen der Eltern unter­schei­den kann. In einem ange­mes­se­nen Rah­men müs­sen Kin­der ihre eige­nen Vor­stel­lun­gen umset­zen kön­nen und ihre eige­nen Erfah­run­gen mit den Kon­se­quen­zen machen. So erlan­gen sie Ver­trau­en in die eige­nen Fähig­kei­ten und ler­nen, sich selbst ein­zu­schät­zen. Auch Kin­der kön­nen schon früh alters­an­ge­mes­sen Auf­ga­ben für die Gemein­schaft (Fami­lie) über­neh­men: Tisch decken am Wochen­en­de, mit putzen, …

Nico­le Schö­be for­mu­liert einen wei­te­ren wich­ti­gen Punkt: „Eltern müs­sen zulas­sen, dass ihre Kin­der Pro­ble­me selbst lösen. Es hilft Kin­dern über­haupt nicht, sie in Wat­te zu packen, um ihnen Frus­tra­tio­nen zu erspa­ren. Ich weiß als Mut­ter, dass das nicht immer leicht ist, aber nur so ler­nen sie, zum einen Frus­tra­ti­on aus­zu­hal­ten und zum ande­ren Lösungs­stra­te­gien zu ent­wi­ckeln.“ Wenn Kin­der zudem ler­nen, dass sie im Zwei­fels­fall um Unter­stüt­zung fra­gen kön­nen, dann sind sie es, die die Situa­ti­on bestim­men. „Hil­fe holen“ ist ja auch eine Lösung.

Man­che Din­ge muss man ein­fach aushalten

Bei aller „Lösungs­ori­en­tiert­heit“ gibt es natür­lich auch Bedin­gun­gen, die man nur wenig oder gar nicht beein­flus­sen kann. „Die Din­ge ändern, die man ändern kann, und die zu akzep­tie­ren, die man nicht ändern kann“, ist hier­für ein hilf­rei­cher Grund­satz. Und: zu unter­schei­den, in wel­chen Situa­tio­nen Ein­fluss über­haupt mög­lich ist (wenn man sich dafür ein­setzt, Ener­gie inves­tiert) und wel­che man akzep­tie­ren soll­te. Auch für vie­le Erwach­se­ne ist das durch­aus ein The­ma, die Coro­na­si­tua­ti­on ist ein aktu­el­les Bei­spiel. Wir haben eini­ge Umstän­de hin­zu­neh­men und soll­ten bestrebt sein, das Best­mög­li­che aus der ohne Zwei­fel schwie­ri­gen Lage zu machen. Dazu müs­sen wir, bezie­hungs­wei­se unse­re Kin­der, gelernt haben, auch mal unan­ge­neh­me Situa­tio­nen, Frus­tration, Unge­rech­tig­keit auszuhalten.

Wir Eltern tun unse­ren Kin­dern kei­nen Gefal­len, wenn wir sie vor allem Unan­ge­neh­men bewah­ren wol­len. Sie kön­nen ler­nen, mit Stress umzu­ge­hen. Das kann typ­be­dingt ganz unter­schied­lich funk­tio­nie­ren: mit Sport als Aus­gleich, Yoga, abend­li­chen Gesprä­chen über den Tag, über Per­so­nen oder Situa­tio­nen, die man schwie­rig fin­det, über Din­ge, die ner­ven, und Grün­de dafür.

Eltern sind zu aller­erst ein­mal Vor­bild. Wie wir mit Kri­sen und Her­aus­for­de­run­gen umge­hen, schau­en sich unse­re Kin­der ab! Nico­le Schö­be bie­tet das Resi­li­enz-Trai­ning für die gan­ze Fami­lie an. Denn auch wenn vie­le Grund­stei­ne dafür in der Kind­heit gelegt wer­den, ist resi­li­ent zu wer­den und zu sein ein Pro­zess, der das gan­ze Leben beglei­tet und auch als erwach­se­ne Per­son noch gelernt wer­den kann. Aber auch für ande­re Bera­tungs- und Erzie­hungs­the­men kann es sinn­voll sein, sich fach­li­che Unter­stüt­zung zu suchen – für sich oder das Kind. Gera­de in die­ser beson­de­ren Zeit sto­ßen vie­le von uns an ihre Gren­zen. Und, wie bereits gesagt: „Hil­fe holen“ ist ja auch eine Lösung.

Pas­send zum The­ma möch­ten wir euch eine soeben ver­öf­fent­lich­te Stu­die vor­stel­len: Mei­ne Fami­lie, Coro­na und ICH. Erar­bei­tet wur­de die Stu­die, die auf einer Eltern­be­fra­gung im Land Bran­den­burg basiert, von der Fach­hoch­schu­le Pots­dam in Zusam­men­ar­beit mit der Lan­des­ar­beits­ge­mein­schaft der Fami­li­en­ver­bän­de in Bran­den­burg. Rein­le­sen lohnt sich, geht es doch um Schutz­fak­to­ren beim Bewäl­ti­gen der Coro­na-Pan­de­mie. Letzt­end­lich waren es über­wie­gend die Kom­pe­ten­zen der Fami­li­en selbst, die am bes­ten schütz­ten und stärk­ten. Ihr fin­det die Stu­die hier: www.lagf-brandenburg.de

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