Das Familienmagazin für Potsdam und Umgebung

Unser Poki sagt Hallo!

Das Familienmagazin für Potsdam und Umgebung

Foto: Andrey Kuzmin/AdobeStock

Streiten und Vertragen
So unterstützen wir kleine Kinder dabei!

Der erste Satz, den man zum Thema Streit zwischen Kindern oft hört ist „Lass das doch die Kinder unter sich ausmachen“. Doch ist das wirklich die beste Lösung? Wir haben mit Ulrike Wolf – Mediatorin und Dozentin unter anderem an der Volkshochschule Potsdam – gesprochen und sie gefragt, ob sie diesen Satz für angemessen hält. „Da antworte ich mit einem klaren Jein. Streiten ist für Kinder eine ganz große Lernchance und wir Erwachsenen sollten ihnen diese Chance nicht wegnehmen, indem wir uns gleich überall einmischen“, meint sie. „Doch natürlich gibt es auch Grenzen …“

Konflikte gehören zum Leben!

Dort, wo Menschen aufeinandertreffen, gibt es immer wieder unterschiedliche Bedürfnisse. Und diese widersprechen sich manchmal, dann muss dies ausgehandelt werden. Auch Streit ist eine Art Aushandlungsprozess. Bei kleinen Kindern bedeutet das vielleicht: Es gibt diesen einen Laster, den sowohl Paul als auch Marie haben möchten, und so streiten sie sich eben um ihn.

Wir Eltern möchten, dass es für unsere Kinder möglichst gerecht zugeht und sind mit dem Argument „Das ist aber ungerecht“ meist leicht zu kriegen. Wenn Paul und Marie sich um den Laster streiten und Marie ihn dem jüngeren Paul einfach wegnimmt, dann kann es unser erster Impuls sein, gleich einzugreifen – denn das ist unfair. Paul hatte den Laster und Marie ist auch noch älter … Doch wir sollten etwas Geduld aufbringen und schauen, ob die beiden das geregelt bekommen. Sie haben jetzt die Chance dazu!

Dabei spielt auch noch ein zweiter Aspekt eine Rolle: Das Leben ist weder immer gerecht noch fair und es ist im Prinzip keine schlechte Erfahrung für Kinder, in einem gewissen Maße Ungerechtigkeit und Frustration auszuhalten – es macht sie widerstandsfähiger („Resilienz“ spielt da eine Rolle, übrigens Thema der PotsKids!-Februarausgabe). Daher sollten wir uns nicht zwingend einmischen, wenn Marie den Laster einfach behält und Paul sich frustriert ein anderes Fahrzeug nimmt.

Es gibt allerdings auch Momente, in denen wir unbedingt eingreifen sollten. Wenn Gewalt im Spiel ist oder wenn es wiederholt dasselbe Kind trifft und die Situation sich in Richtung Mobbing entwickelt, ist ein Eingreifen von Erwachsenen unbedingt erforderlich! Auch wenn die Machtunterschiede sehr groß sind und ein Kind dies (gewaltsam) ausnutzt. Und natürlich, wenn der Streit kein Ende findet oder immer wieder aufflackert. Wenn es aber immer einen höhere Instanz gibt, die dafür sorgt, dass alles ganz geregelt und gerecht zugeht, lernen Kinder nicht, ihre Konflikte selbst zu regeln, für sich selbst einzutreten, andere Bedürfnisse zu berücksichtigen oder auch mal Ungerechtigkeiten auszuhalten.

Warum sind Streitsituationen so eine große Lernchance für kleine Kinder?

Im Streit geht es immer auch um Freundschaft und Beziehungen, um Selbstwirksamkeit und Fremdwahrnehmung, darum, sich in andere hineinzuversetzen und auch mal Frust zu erleben. Alles soziale Fertigkeiten, die zu einem guten Zusammenleben beitragen.

Auch Kinder streiten und vertragen sich wieder, so ist das in Beziehungen nun mal. Und da kleine Kinder eine viel kürzere Aufmerksamkeitsspanne haben, können sie oft nach einem Streit bald wieder zusammen spielen. Bei ihnen ist ein Streit immer heiß und unmittelbar, mit vielen Emotionen gespickt und deshalb vielleicht auch ganz schön laut, solange er währt. Selten sind junge Kinder nachtragend.

Insbesondere kleine Kinder sind zunächst einmal egozentrisch, sehen sich selbst als Mittelpunkt und nehmen nur sich und ihre Bedürfnisse wahr: „Ich will den Laster und zwar jetzt!“. Wichtig: Das geschieht ganz sicher nicht aus Bösartigkeit, sondern weil kleine Kinder erst lernen müssen, sich in andere hineinzuversetzen. Diesen sogenannten „Perspektivenwechsel“ schaffen sie entwicklungsmäßig erst ab einem bestimmten Alter – so ungefähr mit vier Jahren. Aber der Weg dorthin geht schon früher los. Und unsere Aufgabe ist es, die Kinder dabei zu unterstützen.

In Streitsituationen spielen Gefühle immer eine große Rolle. Daher sollten Kinder im ersten Schritt lernen, sich ihrer eigenen Bedürfnisse und Gefühle bewusst zu werden – also ihre eigene Innenwelt zu kennen – und sie auszudrücken. Erst dann sind sie bereit, diese auch bei anderen wahrzunehmen. Wenn Erwachsene im Streit vermitteln müssen, dann ist es gut, die Kinder nach ihren Gefühlen und Bedürfnissen zu fragen: „Bist du wütend, weil du den Laster auch haben möchtest?“ oder „Ich habe den Eindruck, du bist wütend, weil du den Laster auch haben möchtest, stimmt das?“.

Wie lernen Kinder eine gute Streitkultur? Und was können wir Erwachsenen dazu beitragen?

Wir Erwachsenen sind den Kindern wichtige Vorbilder und vermitteln ihnen dadurch unsere eigene Streitkultur. Gehen wir selbst Streit um jeden Preis aus dem Weg, halten wir es nicht gut aus, wenn es unharmonisch wird? Oder streiten wir laut und emotional? Unsere eigenen Bedürfnisse – auch die nach Harmonie oder Gerechtigkeit – spielen dabei eine große Rolle. Nein, wir sollten Streiten nicht als lästiges Übel betrachten. Klar, Streit ist oft anstrengend. Und wenn wir unsere Kinder sich lauthals streiten lassen, kann das sehr nervend sein und unsere eigene Frustrationstoleranz auf die Probe stellen.

Als Erwachsene sollten wir dennoch die emotionale Distanz bewahren und unparteilich für alle am Streit beteiligten da sein. Dabei sollten wir auch auf unsere Körperhaltung achten: Wenn nur eines der Kinder zum Trösten in den Arm genommen wird, wird das von beiden Kindern mit hoher Wahrscheinlichkeit als Parteinahme ausgelegt werden. Also am besten zu beiden Kindern die gleiche Nähe bzw. Distanz einnehmen.

Wenn wir in einem Streit vermitteln, ist es wichtig, alle am Streit beteiligten Kinder bei der Lösung einzubeziehen. „Was können wir machen, um das Problem zu klären?“ Nur so lernen sie, nach Lösungen zu suchen und dann Probleme selbst anzugehen. Vielleicht erscheinen uns die Lösungsvorschläge der Kinder manchmal merkwürdig, aber wenn beide damit einverstanden sind, ist der Streit beendet. Fällt den Kindern jedoch nichts ein oder können sie sich noch nicht so gut ausdrücken, dann bitte trotzdem nicht über ihre Köpfe hinweg die Lösung vorgeben, sondern zum Beispiel fragen: „Darf ich einen Vorschlag machen, wie ihr das lösen könnt?“. Wenn so ein Vorschlag für gut befunden wird, ist das die Lösung für jetzt.

Langfristig gesehen kann man insbesondere in Gruppen natürlich auch Streitregeln gemeinsam aushandeln, zum Beispiel die „Stopp-Regel“, nach der andere aufhören müssen bei Rangeleien, wenn ein Kind „Stopp“ sagt. Diese Regeln kann man gemeinsam mit den Kindern erarbeiten und als Bilder darstellen. Dabei sollten die Kinder diese Regeln weitgehend selbst entwickeln und im Laufe der Zeit können sie ergänzt und verändert werden.

Paul und Marie haben sich übrigens recht schnell darauf geeinigt, dass Marie den Laster nimmt und Paul den Bagger und sie zusammen an der Baustelle arbeiten!

7 Tipps, um Kinder beim Streiten zu unterstützen

Erst einmal schauen
Schaue dir die Streitsituation erst einmal an, bevor du sofort eingreifst. Können das die Kinder unter sich lösen? Handeln ist nur erforderlich, wenn Gewalt ins Spiel kommt oder ein Kind immer den Kürzeren zieht. Dass es nicht immer gerecht zugeht, ist nicht unbedingt ein Grund einzugreifen.

Unparteiisch bleiben
Bleibe unbedingt neutral und ergreife nicht Partei. Das gilt insbesondere auch für die Körperhaltung: Wenn nur eines der Kinder zum Trösten in den Arm genommen wird, wird das von beiden Kindern mit hoher Wahrscheinlichkeit als Parteinahme ausgelegt werden. Am besten zu beiden Kindern die gleiche Nähe bzw. Distanz einnehmen.

Gefühle benennen
Sprich die Gefühle und Bedürfnisse, die deiner Meinung nach die Kinder zum Streiten bewegt haben, an: „Ich habe den Eindruck, du bist sauer, weil Marie dir den Bagger weggenommen hat, oder?“. Damit stärkst du die Entwicklung der Kinder hin zur Selbstwahrnehmung und zur Eigenkompetenz in Sachen Konfliktlösung.

Die Kinder Lösungen finden lassen
Regle den Streit nicht für die Kinder, indem du die Lösung vorgibst. Lass die Kinder möglichst selbst eine gemeinsame Lösung finden – selbst wenn sie dir nicht wie eine wirkliche Lösung erscheint.

Vorschläge machen statt Ratschläge geben
Wenn den Kindern keine Lösungsmöglichkeit einfällt, frage, ob du etwas vorschlagen kannst.

Zeit im Blick haben
Bedenke, dass kleine Kinder eine kurze Aufmerksamkeitsspanne haben – keine ausführlichen Diskussionen an dieser Stelle!

Den Streit abschließen
Frage am Schluss, ob damit der Streit beendet ist und dann können alle wieder ihrer Wege gehen.

Anzeigen