Endlich Ferien! Die Schulsachen fliegen in die Ecke, der Schreibtisch wird zum Spiel- und Basteltisch und der Sommer liegt vor einem. Eltern und Kinder können mal wieder richtig durchatmen und Energie tanken. Warum ist Schule eigentlich so anstrengend? Einen wesentlichen Anteil daran haben die Hausaufgaben, heißt es oftmals.
Schon seit Jahrzehnten sind sich Bildungsexperten uneinig, ob diese überhaupt sinnvoll sind. Die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung, fordert schon lange die Abschaffung der Hausaufgaben, da diese ihrer Meinung nach soziale Ungleichheit förderten. Schließlich hätten nicht alle Eltern die gleichen Möglichkeiten, ihren Kindern zu helfen. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, glaubt hingegen, dass niemand seine Kinder so gut fördern könne wie engagierte Eltern und man ihnen dieses Recht auf Unterstützung nicht nehmen dürfe.
Studien, die belegen, dass Hausaufgaben keinen nachweislichen Einfluss auf die Schulnoten haben, gibt es genügend. Der Journalist und Buchautor Armin Himmelrath verweist in seinem Buch „Hausaufgaben – nein danke!“ auf mehrere wissenschaftliche Untersuchungen – und geht noch weiter. Für ihn sind Hausaufgaben pädagogischer Unsinn, der Schüler*innen zum Lügen verleitet. Sei es, dass diese gegenüber den Eltern behaupten, keine Aufgaben machen zu müssen und in der Schule vorgeben, sie vergessen zu haben oder dass die Eltern die Aufgaben lösen und die Kinder in der Schule behaupten (müssen), sie hätten die Aufgaben allein gemacht.
Eltern werden zu unangenehmen Antreibern ihrer Kinder, ihnen werde die Verantwortung für das Gelingen der kindlichen Schullaufbahn im Übermaß aufgebürdet, so Himmelrath. Der mehrfache Vater plädiert daher für echte Schulaufgaben, Aufgaben, die in der Schule bearbeitet werden. Das „Lernsetting“ mit fachlich versierten Lehrer*innen in der Nähe sei dort viel besser als zu Hause.
Obwohl viele Schüler*innen und Eltern über Hausaufgaben stöhnen und sie als Belastung für das Familienleben empfinden, hält die Mehrzahl der Schulen an ihnen fest – auch in Brandenburg. Das Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) rät Lehrer*innen zum Nachdenken über den sinnvollen Einsatz von Hausaufgaben: „Bedenken Sie, dass der Sinn der Aufgaben von den Schülerinnen und Schülern verstanden werden muss und sie sie selbstständig lösen können, um die Bildungsunterschiede nicht zu manifestieren. Hausaufgaben, die Sie erteilen, müssen auch kontrolliert und ausgewertet werden.“ Wenn Lehrende nicht wissen, ob und was sie aufgeben sollen, rät das LISUM: „Lassen Sie es sein.“
Zum zeitlichen Rahmen gibt das LISUM folgende Empfehlungen: für die unteren Klassen sollten höchstens 30 Minuten täglich, für die mittleren Klassen höchstens 60 Minuten täglich Zeit für Hausaufgaben (oder Schulaufgaben) aufgewendet werden. Hausaufgaben dürfen laut Brandenburger Schulgesetz übrigens nicht benotet werden. Ob und wie sie gemacht werden, kann aber in die Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens, die so genannten Kopfnoten, einfließen.
Sabine Hummel, Leiterin der Rosa-Luxemburg-Grundschule in Potsdam, einer Verlässlichen Halbtagsgrundschule, hat prinzipiell nichts gegen Hausaufgaben – wenn sie gut gestellt sind. Ob Wiederholungen oder kreative Anwendungen sinnvoller seien, hänge vom Unterricht ab. „Wichtig ist, dass sie problemorientiert sind und in den Unterricht eingebunden werden.“ In den ersten drei Schuljahren werden die Aufgaben an der Rosa-Luxemburg-Grundschule am Vormittag während der Schulzeit erledigt. Dafür haben die Klassen 1 bis 3 mehrmals in der Woche 45 Minuten „Individuelle Lernzeit“ (ILZ). In dieser Zeit arbeiten die Grundschüler*innen selbstständig an ihren Wochenplänen und werden von ihren Lehrer*innen betreut. „Den Eltern empfehlen wir zusätzlich, mit ihren Kindern zu Hause das kleine Einmaleins und das Lesen zu üben“, so Hummel.
Ab Klasse 4 gibt es auch Aufgaben für zu Hause, die aber auch in der Schule gemacht werden können. Es gibt ein Hausaufgabenzimmer, das täglich von 14 bis 15 Uhr geöffnet ist und in dem immer ein Lehrender anwesend ist, um Hilfestellung zu geben. Manche bieten auch spezielle Lernwerkstätten an. Obwohl die Schulleiterin darauf geachtet hat, dass die Hausaufgabenzeit nicht mit verlockenden Nachmittags-AGs konkurriert, wird das Angebot nur von sehr wenigen Schüler*innen genutzt. „Das Freizeitangebot in Potsdam ist einfach sehr attraktiv. Wir müssen die Eltern regelrecht darum bitten, ihre Kinder ins Hausaufgabenzimmer zu schicken“, sagt Hummel.
Swantje Goldbach vom Lernwerk benennt Hausaufgaben als das seit Jahren größte Problem der meisten Kinder, die zu ihr kommen. Selten dienten die Aufgaben der Vertiefung des Lernstoffes. „Es wird oft das aufgegeben, was in der Schule nicht geschafft wurde“, so die Leiterin des Potsdamer Nachhilfe-Instituts. Sie bemängelt die Art der Aufgaben, nicht die Tatsache, dass etwas zu Hause gemacht werden soll. „Die Übungen sind oft einfallslos. Besser wären kreative Aufgaben, die mit Freude gemacht werden. Für Mathe könnten die Kinder etwa ihren Schulranzen wiegen und das Gewicht mit dem anderer Gegenstände vergleichen und in Beziehung setzen. Für den Deutschunterricht könnten sie ihren Lieblingsort beschreiben.“
Ganz wichtig: Die Aufgaben sollten so sein, dass die Kinder sie allein lösen können. „Eltern, die ihren Kindern bei den Hausaufgaben helfen, bringen sie nicht in die Selbstständigkeit“, so Goldbach. Studien haben ergeben, dass zwei Drittel aller Eltern regelmäßig mit ihren Kindern lernen. Nur wenige sind den Kindern dann eine echte Hilfe. Oft richten die Eltern Schaden an, weil sie zu viel Druck ausüben und ihre Kinder sogar entmutigen. Gute Aufgaben zu geben, sei eine echte Herausforderung, so Goldbach: „Lehrer müssen genau hinsehen, wem sie was aufgeben, damit nicht nur ein kleiner Teil von den Übungen profitiert.“
Auch Jörg Kwapis, dem Leiter des Zentrums zur Therapie der Rechenschwäche (ZTR), begegnet das Thema seit vielen Jahren. „Gute Hausaufgaben ermöglichen Kindern die Anwendung von etwas, das sie in der Schule verstanden haben.“ Wiederholungen, etwa beim Lernen von Vokabeln oder bei der Anwendung von Grammatik, seien durchaus sinnvoll. Manchmal ist es auch eine andere Herangehensweise, die den Kindern hilft, bei den Hausaufgaben etwas Gelerntes zu festigen. Beispiel: Die Kinder erklären den Eltern die Matheaufgaben. Auch eine Vorgabe, in welchem Zeitraum die Aufgabe geschafft werden sollte, kann Kindern helfen. „Wenn Lehrer den Schülern sagen, dass sie nach zehn Minuten abbrechen dürfen, wenn sie nicht weiterkommen und sich bei ihnen melden sollen, gibt es wenigstens eine echte Rückmeldung.“
Jörg Kwapis rät Eltern, sich bei der Erledigung der Hausaufgaben zurückhalten. „Sie sind keine Profis und sollten nicht die Erklärer-Rolle übernehmen. Das belastet die Familiendynamik. Besser ist es, Sie lassen das Kind nach einer gewissen Zeit abbrechen und schreiben eine Nachricht ins Hausaufgabenheft, dass die Aufgabe nicht verstanden wurde oder zu schwer war. Eine unverfälschte Rückmeldung ist für die Lehrer sehr wichtig.“ Für Eltern, die ihre Kinder fördern und ihnen Gutes tun wollen, hat er ganz andere Ideen, als gemeinsam zu pauken: „Spielen Sie mit Ihren Kindern. Dabei lernt man viel über den Umgang mit Zahlen und den Sinn von Strategien – und es macht allen Spaß!“
Über den Sinn und Unsinn von Hausaufgaben nicht nur nachzudenken, sondern auch in den schulischen Gremien zu diskutieren, kann sich für alle Beteiligten lohnen. Wie wäre es, wenn Schüler*innen mitentscheiden würden, wie Hausaufgaben aussehen sollen? Das könnte allen wichtige Denkanstöße geben. Sabine Hummel hat sich für die Rosa-Luxemburg-Grundschule vorgenommen, „die Schülerinnen und Schüler noch stärker in den Lernprozess einzubinden“. Autorin: Maren Herbst
Quelle: Zentrum zur Therapie der Rechenschwäche (ZTR) Potsdam
Aus PotsKids! August September 2017 „Lernen ohne Hausaufgaben?“