Der 6‑jährige Phillip und seine 4‑jährige Schwester Marie freuen sich jeden Abend darauf, dass ihre große Schwester Sophie ihnen vorliest. Das ist seit zwei Jahren ein festes Ritual. Sophie, bei der eine leichte Lese-Rechtschreib-Schwäche diagnostiziert wurde, fiel es am Anfang gar nicht so leicht, den beiden vorzulesen, aber sie sollte es üben und ihre Mutter hatte vorgeschlagen, das Abendritual zu übernehmen.
Am Anfang las sie nur wenige Sätze, die in Pappbilderbüchern vorkamen. Die Begeisterung der beiden jüngeren Geschwister hat Sophie jedoch bald angesteckt und die Beschäftigung mit den Büchern wurde immer intensiver. Sie sprachen über die Bilder im Buch und langsam wurden die Geschichten länger und Sophie fing an, Dialoge mit verstellter Stimme zu lesen. Ihre Geschwister hat es gar nicht gestört, dass sie manchmal länger für einen Satz brauchte oder noch mal anfangen musste – sie haben sich einfach gefreut, Zeit mit ihrer großen Schwester zu verbringen.
Dann begann Sophie, die Bücher selbst auszusuchen – am liebsten mag sie nämlich Feengeschichten und Pettersson und Findus – das hatte ihr Vater ihr als kleines Kind vorgelesen. Jetzt müssen die Eltern die drei manchmal daran erinnern, dass es nun wirklich Zeit zum Schlafengehen ist!
Geschichten aus Büchern eröffnen Kindern andere Welten und lassen sie sich in andere Wesen hineinversetzen und deren Abenteuer miterleben. Allerdings bietet eine vorgelesene Geschichte mehr als nur ein Hörerlebnis oder eine Beschäftigung für das Kind. Beim Vorlesen – insbesondere in der Familie – geht es immer auch um die Beziehung zueinander und das interaktive Miteinander. Vorlesen stärkt die Bindung der Familienmitglieder.
Man taucht gemeinsam in die Welt der Fantasie ein und erlebt Abenteuer. Spannung ist für jüngere Kinder besser auszuhalten, wenn jemand dabei ist, der beruhigen und mit dem man während oder nach der Geschichte über diese sprechen kann. Zudem ist die gemeinsame Lesezeit oft besonders kuschelig und gemütlich, und nicht selten entwickeln sich gemeinsame Sprachbilder aus der Welt der Lieblingsgeschichten: Wenn in Sophies Familie mal etwas vermisst wird, sind sich alle einig, dass da wohl die Mucklas am Werk gewesen sein müssen, die kleinen Wesen, die in Petterssons Haus wohnen und gern Dinge verstecken.
Kein Kind ist zu klein zum Vorlesen – damit beginnen, gemeinsam Bilder zu betrachten, kann man schon mit wenigen Monaten. Und Vorlesen ist nicht nur etwas für kleine Kinder, die noch nicht selbst lesen können – auch Schulkinder mögen es oft noch, wenn am Abend gemeinsam (vor-)gelesen wird – jetzt vielleicht abwechselnd.
Es gibt mittlerweile viele gute Apps zum Vorlesen sowie schöne und wunderbare Hörbücher, die Kinder sich gerne anhören und die ebenfalls die Lesefreude stärken und Kompetenzen fördern können. Doch die Momente des gemeinsamen Lesens sollten sie nicht ersetzen, sondern ergänzen. Die erste Motivation, zu einem Buch zu greifen, geht meist von der Familie aus. Ob die Eltern vom Tablet, Smartphone oder Buch vorlesen, ist nicht entscheidend, sondern, dass überhaupt gemeinsam gelesen wird. Und selbst, wenn die Vorlesemomente nur wenige Minuten lang sind, ist das besser, als gar nicht vorzulesen.
Lesefreude und die sich daraus entwickelnde Lesekompetenz tragen wesentlich zum schulischen Erfolg von Kindern bei – das ist schon lange bekannt. Es gibt einige Veranstaltungen und Initiativen, die dies unterstützen möchten, zum Beispiel die Lesepaten, das Bücherpicknick im Volkspark, den Weltvorlesetag und natürlich regelmäßige Angebote der Stadt- und Landesbibliothek.
Insbesondere in der Vorweihnachtszeit schafft das gemeinsame Lesen eine Insel der Geborgenheit. Man kommt zur Ruhe und lauscht einer Geschichte. Vorlesen kann insbesondere in dieser Zeit, in der physische Distanz angesagt ist, Nähe schaffen. So können Großeltern ihren Enkeln jeden Tag eine Adventsgeschichte über Zoom oder am Telefon vorlesen. Oder die Kinder den Großeltern. Das ist auch Phillips Plan – anderen vorzulesen. Er ist sehr stolz darauf, dass er schon einige Buchstaben lesen und schreiben kann und hat schon Bücher ausgesucht, die er abends für seine Familie lesen will – wie seine große Schwester!
Eltern sind Vorbilder – wenn sie gerne (vor-)lesen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder es auch gerne tun.
Der Wortschatz wird durchs (Vor-)lesen vergrößert und die Konzentrationsfähigkeit gesteigert.
Fantasievolle Geschichten erweitern das Vorstellungsvermögen und fördern die Kreativität.
Geschichten und Sachbücher helfen dabei, sich mit verschiedenen Themen auseinanderzusetzen. Auch für schwierige Familienthemen, wie Krankheit, Konflikte, Tod, gibt es tolle (Sach-)Bücher.
Geschichten machen es möglich, in andere Charaktere einzutauchen, dadurch werden Empathie sowie soziale und emotionale Kompetenzen gefördert.
Kindern, denen viel vorgelesen wird, fällt das Lesen- und Schreibenlernen in der Regel leichter.
Bücher, und nicht nur Sachbücher, machen neugierig auf ganz neue Themen. Die können gemeinsam weiter erkundet werden. Je nach Thema in der Natur, kreativ – oder mittels weiterer Bücher. Gemeinsame Themen können auch in schwierigen Phasen eine Verbindung schaffen.
Der Lesehund
Damit jedes Kind sein Potenzial entfalten kann, besuchen ehrenamtliche Lesehund-Teams regelmäßig Grundschulen. Kind und Johanniter-Lesehund sitzen in einem gemütlich eingerichteten Raum aneinander gekuschelt auf einem Sofa. Das Kind kann entspannen und dem Hund in seinem Tempo vorlesen.
Infos: www.johanniter.de/rv-pmf/lesehund
Stiftung Lesen
Die „Vorleseideen für die Kita und zu Hause“ bieten jede Woche neue Buch‑, Medien- und Aktionstipps. Praktisch aufbereitet – als Einseiter zum Ausdrucken.
Infos: www.vorleseideen.de
Mit verschiedenen Veranstaltungsreihen in der Kinderwelt fördert die Stadt- und Landesbibliothek die Lese- und Sprachfähigkeiten von Kindern als wesentliche Schlüsselkompetenzen. Dazu gehört regelmäßiges Vorlesen für Kita- und Vorschulkinder, aber auch die Begegnung mit Autor*innen für die Grundschulkinder, genauso wie Einführungen in die Bibliotheksnutzung. Zur Zeit kann das Angebot aufgrund der Covid-19-Situation leider nicht stattfinden, wird jedoch sobald wie möglich wieder aufgenommen.
Die „Samstagsvorleser“
In der Hauptbibliothek und Zweigbibliothek Am Stern können Kinder ab 4 Jahren jeden Samstag spannenden Geschichten lauschen, gelesen von den ehrenamtlichen Vorlesepat*innen der Bibliothek. Beliebt sind auch Bilderbuch-Kino und Kamishibai.
Lesestart mit LUPE
Leseförderung in kleiner, gemütlicher Runde für Eltern und ihre 3‑jährigen Kinder mit Maskottchen Lesewolf LUPE zum gemeinsamen Erleben von Büchern.
Vorlesen um vier für Kinder ab vier
Spannende Geschichten für Kinder ab 4 Jahren vorgelesen von ehrenamtlichen Vorlesepat*innen der Bibliothek.
Grundschüler*innen treffen Autorinnen
Regelmäßige Buchvorstellungen mit Lesung und Gespräch für Kinder von der 1. bis 6. Klasse (Hauptbibliothek und Zweigbibliotheken). Die Kinder lernen hautnah Autor*innen mit ihren Büchern kennen und erfahren, wie eine Geschichte entsteht und was einen Schriftsteller ausmacht.
Die Potsdamer Kinder- und Jugendliteraturtage
Eine Kooperation mit dem Jugendamt der Stadt Potsdam. Der Herbsttreffpunkt für kleine und große Bücherfreunde.
Bibliotheks-Einführungen
Für Kinder unterschiedlicher Altersgruppen.
Für 2021 plant die SLB digitale Lesungen.
www.bibliothek.potsdam.de