„Ich ess doch keine Tiere!“ Dieser entrüstete Ausruf kam von meinem Neffen, als er 3 Jahre alt war. Er wollte auch schon, bevor er sprechen konnte, kein Fleisch essen. Fisch ebenfalls nicht. „Fische sind doch auch Tiere.“ Selbst Milch und ihre Verarbeitungsprodukte sind nicht seine Favoriten. „Klar, der ist ‚indoktriniert‘ – eine Familie voller Vegetarier!“ – könnte man denken … Aber nein, ganz im Gegenteil. Fleisch wird gerne in dieser Familie gegessen. Die älteren Geschwister sind zwar aus Überzeugung regelmäßig Teilzeitvegetarier*innen – aber nur, solange es keinen knusprigen Bacon oder gar Gegrilltes gibt.
Es gibt Kinder, die mögen von Anfang an nicht gerne Fleisch, einige vertragen es auch nicht gut. Und dann gib es die Kinder, die sich aus Überzeugung für weniger oder gar kein Fleisch entscheiden — sei es aus Tierschutz- oder Gesundheitsgründen, um das Klima zu entlasten oder weil es in ihrem Freundeskreis gerade im Trend ist.
Familien, die eh schon vegetarisch oder vegan kochen, werden voraussichtlich ihren Kindern diesen Lebens- und Ernährungsstil vorleben und einfach beibehalten. Hier ergibt sich das Konfliktpotential eher, wenn die Kinder außerhalb des eigenen Haushalts anderes Essen angeboten bekommen, sei es in Kita und Schule oder auf einem Kindergeburtstag. Doch Kitas und Schulen bieten mittlerweile meist vegetarische Varianten an und Eltern, die zu einem Kindergeburtstag einladen, planen die verschiedenen Ernährungsgewohnheiten oft auch mit ein. So scheint der Trend zumindest heute auszusehen.
In vegetarisch-veganen Familien kann sich das Konfliktpotential daraus entwickeln, dass das eigene Kind vielleicht all die anderen Sachen ausprobieren möchte und sie dann sogar lecker findet. Wesentlich ist – wie eigentlich immer – dass miteinander gesprochen wird, so dass ein Kind nicht Fleisch im Geheimen essen muss. Ein Kompromiss kann zum Beispiel sein, dass Fleisch – oder bei veganer Ernährung auch Milchprodukte – nur außerhalb von zuhause gegessen werden. Grundsätzlich sollten Kinder ernst genommen werden – und das eben auch bei ihren Ernährungsvorlieben. Wenn sie alt genug sind, kann man natürlich mit ihnen diskutieren über Tierhaltung, Fleischverarbeitung, Fleischkonsum, Auswirkungen auf die Umwelt und auf den Körper und die eigene Gesundheit. Dazu gibt es auch kindgerechte Literatur – auf keinen Fall Videos zum Beispiel von Schlachthöfen zeigen und moralischen Druck aufbauen!
Eltern, die relativ neu im „Fleischlosland“ sind, werden sich vermutlich spätestens jetzt mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Und je jünger das Kind, desto intensiver, weil man ja für die Versorgung auch mehr verantwortlich ist. Während manche Eltern früher eher versucht haben, das Fleisch zu verstecken – in Tomatensoße, Raviolifüllung oder als Gelatine in Gummibärchen – so ist das heute keineswegs mehr opportun. Kinder haben ein Recht darauf, dass diese Art Ernährungswunsch Beachtung findet, spätestens, wenn sie klar äußern können, was sie möchten oder nicht möchten.
Die Ärztin Barbara Hauer rät Eltern in ihrem Buch „Ich ess ab heute kein Fleisch mehr! Wenn aus Teenies Veggies werden“ (TRIAS Verlag): „Machen Sie die Umstellung zum gemeinsamen Projekt! Sehen Sie es als Chance für die ganze Familie! Denn auch Ihnen wird es guttun, weniger Fleisch und vielleicht etwas mehr Gemüse und Obst zu essen.“ Eltern sollten ihrem Kind kommunizieren, dass sie es unterstützen und im Gegenzug Eigeninitiative beim Einkaufen oder Kochen von ihm erwarten sowie die Bereitschaft, Neues auszuprobieren. „Sehen Sie die Veränderungen nicht als Einschränkung, sondern als Bereicherung für den Familien-Esstisch!“
Sie sieht es als die Gelegenheit, über gemeinsames Kochen – vegetarisch oder vegan – und gesunde Ernährung gemeinsam zu sprechen – insbesondere im Teenageralter. Klar ist, Essgewohnheiten mit weniger Fleisch haben Zukunft. Gesamtgesellschaftlich werden wir nicht immer diese Mengen an Fleisch konsumieren können, wie wir es in Deutschland derzeit tun.
Der „Mythos“ der Mangelernährung durch vegetarischen oder veganen Lebensstil beginnt sich langsam aufzulösen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) veröffentlichte im 14. DGE-Ernährungsbericht die Studie „Vegetarische und vegane Ernährung bei Kindern und Jugendlichen“. Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl bei veganer und vegetarischer Ernährung als auch bei einer Mischkost mit Fleisch die Versorgung mit den Hauptnährstoffen sowie den meisten Vitaminen und Mineralstoffen bei der überwiegenden Anzahl der Studienteilnehmer*innen ausreichend war. Bei allen Ernährungsformen war die Versorgung mit Vitamin B2 und Jod kritisch, auch die Zufuhrdaten von Calcium zeigen Handlungsbedarf auf. Die sich vegetarisch und vegan ernährenden Kinder und Jugendlichen zeigten einen insgesamt gesundheitsfördernden Lebensmittelkonsum.
www.dge.de/wissenschaft/ernaehrungsberichte
Auch die Stiftung Kindergesundheit sagt: „Ganz gleich, ob sie aus ethischen oder aus gesundheitlichen Gründen auf Fleisch verzichten: Vegetarier profitieren meist von dieser Entscheidung, (…) Die vegetarische Ernährung entspricht vielen Empfehlungen der modernen Ernährungswissenschaft: Sie ist in aller Regel weniger energiereich, bringt also weniger Kalorien auf die Waage. Sie enthält eine geringere Menge an den ungünstigen gesättigten Fettsäuren, an Cholesterin und tierischem Eiweiß, dafür mehr an Ballaststoffen und den gesundheitlich vorteilhaften Antioxidantien.“
www.kindergesundheit.de/aktuelles/newsletter > Newsletter, 2020 „Fleischlose Kost auch schon für Kinder?“
Auch das 2022 herausgegebene Gesundheitskonzept des Landes Brandenburg „Brandenburg ernährt sich nachhaltig: regional – gesund – vielfältig – fair!“ unterstützt explizit die Vielfältigkeit der Ernährungsstile und die Esskulturen in Familien, in Gemeinschaften und individuell.
msgiv.brandenburg.de
Doch nicht alleine das Weglassen von Fleisch garantiert eine gesunde, vollwertige und bewusste Ernährung. Die Rede ist heute schon – etwas herablassend – von sogenannten „Pudding-Vegetarier*innen“, die zwar kein Fleisch essen, sich dafür aber einseitig und mit einem hohen Anteil Snacks, Fast Food und Süßigkeiten ernähren. In Bezug auf Jugendliche eine durchaus bekanntes Phänomen. Dieser Ernährungsstil ist mit Fleischkonsum genauso ungesund wie ohne!
Bei der vegetarischen und insbesondere bei der veganen Ernährung kommt es daher auf die Ausgewogenheit an. Vitamin B2, B12, D, Jod, Eisen und Calcium sind zum Beispiel die Elemente, die man als Eltern im Blick behalten sollte. Daher lohnt es sich, sich gut zu informieren. Insbesondere vegan essende Menschen nutzen gelegentlich auch Nahrungsergänzungsmittel, so genannte Supplemente, weil sich ihr Bedarf an Vitamin B12 und Eisen manchmal schwerer durch die Ernährung decken lässt.
Vegetarische und vegane Ernährung ist, wie gesagt, nicht nur das Weglassen von Fleisch oder Ersetzen durch Fleischersatzprodukte wie ein Sojaschnitzel, welches dann viele Fleischessende beim Probieren enttäuscht, weil es ja doch nicht ganz so nach Schnitzel schmeckt. Es ist eine eigene Esskultur mit neuer und besonders vielfältiger Küche. Auch ich als Omnivore – Allesesserin – erfreue mich regelmäßig an vegetarischen und veganen Gerichten, einfach, weil sie lecker sind. Das gelingt dort häufig gut, wo es nicht um Fleischersatz geht – mein bestes Tiramisu war zum Beispiel ein veganes, das meine Kollegin mitgebracht hatte.
Und wenn auf der Geburtstagsparty deines Kindes ein veganer und damit auch laktosefreier Kuchen gewünscht ist, findest du in unserer Themenrubrik „Rezepte“ einen genialen, schnellen und einfachen Schoko-Möhrenkuchen, der auf der Feier meines damals 10-jährigen Sohnes zuerst aufgegessen war.
Die vegetarische und vegane Küche kann den Speiseplan einer Familie bereichern – und gut für die Umwelt ist es allemal!
Es gibt eine Vielzahl von Ernährungsstilen und Lebensweisen, die in den letzten Jahren noch vielfältiger geworden sind. Hier eine Liste der gängigsten, damit du mitreden kannst:
OMNIVOR
Alles, was essbar ist, kann gegessen werden. Einschränkend sind nur kulturelle und individuelle Vorlieben.
VEGETARISCH
Es werden keine Tiere gegessen, aber tierische Produkte wie Eier, Milch, Honig.
VEGAN
Es werden keinerlei tierische Produkte gegessen. Viele Veganer*innen verzichten auch sonst auf tierische Produkte wie Lederschuhe und Wollpullover, weil sie die Tierhaltung ablehnen.
FLEXITARISCH
Eine überwiegend fleischlose Ernährung mit seltenen Ausnahmen.
PESCETARISCH
Vegetarische Ernährung mit der speziellen Ausnahme, dass Fisch und Meeresfrüchte gegessen werden.
PALEO
Orientiert sich an in der Steinzeit verfügbaren Lebensmitteln: Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte, Gemüse, Obst und Nüsse. Auf Lebensmittel wie Getreide, Hülsenfrüchte, Zucker, Milch und Milchprodukte wird verzichtet.
FRUKTARISCH
Eine Ernährung mit rein pflanzlichen Produkten, die nicht die Beschädigung der Pflanze zur Folge hat, von der sie stammt. Dazu gehören etwa Obst, Nüsse und Getreide.
ROHKOST
Rohkost ist Nahrung, die vor dem Verzehr nicht über 42 Grad erhitzt wird.
VOLLWERTIG
Alles wird gegessen, in möglichst optimal ausgewogener Zusammenstellung und weitgehend naturbelassen.
KLIMATARISCH
Klimatarier*innen achten bei Lebensmitteln auf die CO2-Bilanz und den Wasserverbrauch bei Herstellung, Transport und Lagerung – es werden also regionale, jahreszeitliche Produkte bevorzugt und kein Essen weggeworfen.
FREEGAN
Vegane Ernährung und ein Statement gegen die Wegwerfgesellschaft: Man nutzt Lebensmittel, die im Müll landen – Stichwort „containern“.
CLEAN EATING
Naturbelassene Lebensmittel und der Verzicht auf Fertigprodukte oder industriell gefertigte Lebensmittel.
MAKROBIOTISCH
Basiert auf der asiatischen Weltanschauung: Lebensmittel werden nach dem Yin & Yang-Prizinzip der Ausgewogenheit ausgewählt und sind möglichst nicht verarbeitet, sondern naturbelassen.
KOSCHER & HALAL
Jüdische bzw. muslimische Essensregeln. Beides bedeutet so viel wie „rein“. Zum Beispiel ist Schweinefleisch tabu und Tiere werden auf eine bestimmte Art geschlachtet.
PUDDING-VEGETARIER*INNEN
Essen kein Fleisch, haben aber einen eher ungesunden Ernährungsstil. Die Bezeichnung ist abwertend gemeint.
Autorin: Nicole Luft