Das Familienmagazin für Potsdam und Umgebung

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Das Familienmagazin für Potsdam und Umgebung

Foto: Family Veldman/AdobeStock

Wenn Kin­der kein Fleisch (mehr) essen wollen

„Ich ess doch kei­ne Tie­re!“ Die­ser ent­rüs­te­te Aus­ruf kam von mei­nem Nef­fen, als er 3 Jah­re alt war. Er woll­te auch schon, bevor er spre­chen konn­te, kein Fleisch essen. Fisch eben­falls nicht. „Fische sind doch auch Tie­re.“ Selbst Milch und ihre Ver­ar­bei­tungs­pro­duk­te sind nicht sei­ne Favo­ri­ten. „Klar, der ist ‚indok­tri­niert‘ – eine Fami­lie vol­ler Vege­ta­ri­er!“ – könn­te man den­ken … Aber nein, ganz im Gegen­teil. Fleisch wird ger­ne in die­ser Fami­lie geges­sen. Die älte­ren Geschwis­ter sind zwar aus Über­zeu­gung regel­mä­ßig Teilzeitvegetarier*innen – aber nur, solan­ge es kei­nen knusp­ri­gen Bacon oder gar Gegrill­tes gibt. 

Es gibt Kin­der, die mögen von Anfang an nicht ger­ne Fleisch, eini­ge ver­tra­gen es auch nicht gut. Und dann gib es die Kin­der, die sich aus Über­zeu­gung für weni­ger oder gar kein Fleisch ent­schei­den — sei es aus Tier­schutz- oder Gesund­heits­grün­den, um das Kli­ma zu ent­las­ten oder weil es in ihrem Freun­des­kreis gera­de im Trend ist.

Fami­li­en, die eh schon vege­ta­risch oder vegan kochen, wer­den vor­aus­sicht­lich ihren Kin­dern die­sen Lebens- und Ernäh­rungs­stil vor­le­ben und ein­fach bei­be­hal­ten. Hier ergibt sich das Kon­flikt­po­ten­ti­al eher, wenn die Kin­der außer­halb des eige­nen Haus­halts ande­res Essen ange­bo­ten bekom­men, sei es in Kita und Schu­le oder auf einem Kin­der­ge­burts­tag. Doch Kitas und Schu­len bie­ten mitt­ler­wei­le meist vege­ta­ri­sche Vari­an­ten an und Eltern, die zu einem Kin­der­ge­burts­tag ein­la­den, pla­nen die ver­schie­de­nen Ernäh­rungs­ge­wohn­hei­ten oft auch mit ein. So scheint der Trend zumin­dest heu­te auszusehen.

In vege­ta­risch-vega­nen Fami­li­en kann sich das Kon­flikt­po­ten­ti­al dar­aus ent­wi­ckeln, dass das eige­ne Kind viel­leicht all die ande­ren Sachen aus­pro­bie­ren möch­te und sie dann sogar lecker fin­det. Wesent­lich ist – wie eigent­lich immer – dass mit­ein­an­der gespro­chen wird, so dass ein Kind nicht Fleisch im Gehei­men essen muss. Ein Kom­pro­miss kann zum Bei­spiel sein, dass Fleisch – oder bei vega­ner Ernäh­rung auch Milch­pro­duk­te – nur außer­halb von zuhau­se geges­sen wer­den. Grund­sätz­lich soll­ten Kin­der ernst genom­men wer­den – und das eben auch bei ihren Ernäh­rungs­vor­lie­ben. Wenn sie alt genug sind, kann man natür­lich mit ihnen dis­ku­tie­ren über Tier­hal­tung, Fleisch­ver­ar­bei­tung, Fleisch­kon­sum, Aus­wir­kun­gen auf die Umwelt und auf den Kör­per und die eige­ne Gesund­heit. Dazu gibt es auch kind­ge­rech­te Lite­ra­tur – auf kei­nen Fall Vide­os zum Bei­spiel von Schlacht­hö­fen zei­gen und mora­li­schen Druck aufbauen!

Eltern, die rela­tiv neu im „Fleisch­los­land“ sind, wer­den sich ver­mut­lich spä­tes­tens jetzt mit dem The­ma aus­ein­an­der­set­zen müs­sen. Und je jün­ger das Kind, des­to inten­si­ver, weil man ja für die Ver­sor­gung auch mehr ver­ant­wort­lich ist. Wäh­rend man­che Eltern frü­her eher ver­sucht haben, das Fleisch zu ver­ste­cken – in Toma­ten­so­ße, Ravio­li­fül­lung oder als Gela­ti­ne in Gum­mi­bär­chen – so ist das heu­te kei­nes­wegs mehr oppor­tun. Kin­der haben ein Recht dar­auf, dass die­se Art Ernäh­rungs­wunsch Beach­tung fin­det, spä­tes­tens, wenn sie klar äußern kön­nen, was sie möch­ten oder nicht möchten.

Die Ärz­tin Bar­ba­ra Hau­er rät Eltern in ihrem Buch „Ich ess ab heu­te kein Fleisch mehr! Wenn aus Tee­nies Veggies wer­den“ (TRIAS Ver­lag): „Machen Sie die Umstel­lung zum gemein­sa­men Pro­jekt! Sehen Sie es als Chan­ce für die gan­ze Fami­lie! Denn auch Ihnen wird es gut­tun, weni­ger Fleisch und viel­leicht etwas mehr Gemü­se und Obst zu essen.“ Eltern soll­ten ihrem Kind kom­mu­ni­zie­ren, dass sie es unter­stüt­zen und im Gegen­zug Eigen­in­itia­ti­ve beim Ein­kau­fen oder Kochen von ihm erwar­ten sowie die Bereit­schaft, Neu­es aus­zu­pro­bie­ren. „Sehen Sie die Ver­än­de­run­gen nicht als Ein­schrän­kung, son­dern als Berei­che­rung für den Fami­li­en-Ess­tisch!“
Sie sieht es als die Gele­gen­heit, über gemein­sa­mes Kochen – vege­ta­risch oder vegan – und gesun­de Ernäh­rung gemein­sam zu spre­chen – ins­be­son­de­re im Teen­ager­al­ter. Klar ist, Ess­ge­wohn­hei­ten mit weni­ger Fleisch haben Zukunft. Gesamt­ge­sell­schaft­lich wer­den wir nicht immer die­se Men­gen an Fleisch kon­su­mie­ren kön­nen, wie wir es in Deutsch­land der­zeit tun.

Der „Mythos“ der Man­gel­er­näh­rung durch vege­ta­ri­schen oder vega­nen Lebens­stil beginnt sich lang­sam auf­zu­lö­sen. Die Deut­sche Gesell­schaft für Ernäh­rung e.V. (DGE) ver­öf­fent­lich­te im 14. DGE-Ernäh­rungs­be­richt die Stu­die „Vege­ta­ri­sche und vega­ne Ernäh­rung bei Kin­dern und Jugend­li­chen“. Die Ergeb­nis­se zei­gen, dass sowohl bei vega­ner und vege­ta­ri­scher Ernäh­rung als auch bei einer Misch­kost mit Fleisch die Ver­sor­gung mit den Haupt­nähr­stof­fen sowie den meis­ten Vit­ami­nen und Mine­ral­stof­fen bei der über­wie­gen­den Anzahl der Studienteilnehmer*innen aus­rei­chend war. Bei allen Ernäh­rungs­for­men war die Ver­sor­gung mit Vit­amin B2 und Jod kri­tisch, auch die Zufuhr­da­ten von Cal­ci­um zei­gen Hand­lungs­be­darf auf. Die sich vege­ta­risch und vegan ernäh­ren­den Kin­der und Jugend­li­chen zeig­ten einen ins­ge­samt gesund­heits­för­dern­den Lebens­mit­tel­kon­sum.
www.dge.de/wissenschaft/ernaehrungsberichte

Auch die Stif­tung Kin­der­ge­sund­heit sagt: „Ganz gleich, ob sie aus ethi­schen oder aus gesund­heit­li­chen Grün­den auf Fleisch ver­zich­ten: Vege­ta­ri­er pro­fi­tie­ren meist von die­ser Ent­schei­dung, (…) Die vege­ta­ri­sche Ernäh­rung ent­spricht vie­len Emp­feh­lun­gen der moder­nen Ernäh­rungs­wis­sen­schaft: Sie ist in aller Regel weni­ger ener­gie­reich, bringt also weni­ger Kalo­rien auf die Waa­ge. Sie ent­hält eine gerin­ge­re Men­ge an den ungüns­ti­gen gesät­tig­ten Fett­säu­ren, an Cho­le­ste­rin und tie­ri­schem Eiweiß, dafür mehr an Bal­last­stof­fen und den gesund­heit­lich vor­teil­haf­ten Anti­oxi­dan­ti­en.“
www.kindergesundheit.de/aktuelles/newsletter > News­let­ter, 2020 „Fleisch­lo­se Kost auch schon für Kinder?“

Auch das 2022 her­aus­ge­ge­be­ne Gesund­heits­kon­zept des Lan­des Bran­den­burg „Bran­den­burg ernährt sich nach­hal­tig: regio­nal – gesund – viel­fäl­tig – fair!“ unter­stützt expli­zit die Viel­fäl­tig­keit der Ernäh­rungs­sti­le und die Ess­kul­tu­ren in Fami­li­en, in Gemein­schaf­ten und indi­vi­du­ell.
msgiv.brandenburg.de

Doch nicht allei­ne das Weg­las­sen von Fleisch garan­tiert eine gesun­de, voll­wer­ti­ge und bewuss­te Ernäh­rung. Die Rede ist heu­te schon – etwas her­ab­las­send – von soge­nann­ten „Pudding-Vegetarier*innen“, die zwar kein Fleisch essen, sich dafür aber ein­sei­tig und mit einem hohen Anteil Snacks, Fast Food und Süßig­kei­ten ernäh­ren. In Bezug auf Jugend­li­che eine durch­aus bekann­tes Phä­no­men. Die­ser Ernäh­rungs­stil ist mit Fleisch­kon­sum genau­so unge­sund wie ohne!

Bei der vege­ta­ri­schen und ins­be­son­de­re bei der vega­nen Ernäh­rung kommt es daher auf die Aus­ge­wo­gen­heit an. Vit­amin B2, B12, D, Jod, Eisen und Cal­ci­um sind zum Bei­spiel die Ele­men­te, die man als Eltern im Blick behal­ten soll­te. Daher lohnt es sich, sich gut zu infor­mie­ren. Ins­be­son­de­re vegan essen­de Men­schen nut­zen gele­gent­lich auch Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel, so genann­te Sup­ple­men­te, weil sich ihr Bedarf an Vit­amin B12 und Eisen manch­mal schwe­rer durch die Ernäh­rung decken lässt.

Vege­ta­ri­sche und vega­ne Ernäh­rung ist, wie gesagt, nicht nur das Weg­las­sen von Fleisch oder Erset­zen durch Flei­scher­satz­pro­duk­te wie ein Soja­schnit­zel, wel­ches dann vie­le Fleisch­essen­de beim Pro­bie­ren ent­täuscht, weil es ja doch nicht ganz so nach Schnit­zel schmeckt. Es ist eine eige­ne Ess­kul­tur mit neu­er und beson­ders viel­fäl­ti­ger Küche. Auch ich als Omni­vo­re – Alles­es­se­rin – erfreue mich regel­mä­ßig an vege­ta­ri­schen und vega­nen Gerich­ten, ein­fach, weil sie lecker sind. Das gelingt dort häu­fig gut, wo es nicht um Flei­scher­satz geht – mein bes­tes Tira­mi­su war zum Bei­spiel ein vega­nes, das mei­ne Kol­le­gin mit­ge­bracht hatte.

Und wenn auf der Geburts­tags­par­ty dei­nes Kin­des ein vega­ner und damit auch lak­to­se­frei­er Kuchen gewünscht ist, fin­dest du in unse­rer The­men­ru­brik „Rezep­te“ einen genia­len, schnel­len und ein­fa­chen Scho­ko-Möh­ren­ku­chen, der auf der Fei­er mei­nes damals 10-jäh­ri­gen Soh­nes zuerst auf­ge­ges­sen war.

Die vege­ta­ri­sche und vega­ne Küche kann den Spei­se­plan einer Fami­lie berei­chern – und gut für die Umwelt ist es allemal!

Ernäh­rungs­sti­le und Lebensweisen

Es gibt eine Viel­zahl von Ernäh­rungs­sti­len und Lebens­wei­sen, die in den letz­ten Jah­ren noch viel­fäl­ti­ger gewor­den sind. Hier eine Lis­te der gän­gigs­ten, damit du mit­re­den kannst:

OMNIVOR
Alles, was ess­bar ist, kann geges­sen wer­den. Ein­schrän­kend sind nur kul­tu­rel­le und indi­vi­du­el­le Vorlieben.

VEGETARISCH
Es wer­den kei­ne Tie­re geges­sen, aber tie­ri­sche Pro­duk­te wie Eier, Milch, Honig.

VEGAN
Es wer­den kei­ner­lei tie­ri­sche Pro­duk­te geges­sen. Vie­le Vega­ner*in­nen ver­zich­ten auch sonst auf tie­ri­sche Pro­duk­te wie Leder­schu­he und Woll­pull­over, weil sie die Tier­hal­tung ablehnen. 

FLEXITARISCH
Eine über­wie­gend fleisch­lo­se Ernäh­rung mit sel­te­nen Ausnahmen.

PESCETARISCH
Vege­ta­ri­sche Ernäh­rung mit der spe­zi­el­len Aus­nah­me, dass Fisch und Mee­resfrüchte geges­sen werden.

PALEO
Ori­en­tiert sich an in der Stein­zeit ver­füg­ba­ren Lebens­mit­teln: Fleisch, Fisch, Mee­res­früch­te, Gemü­se, Obst und Nüs­se. Auf Lebens­mit­tel wie Getrei­de, Hül­sen­früch­te, Zucker, Milch und Milch­pro­duk­te wird verzichtet. 

FRUKTARISCH
Eine Ernäh­rung mit rein pflanz­li­chen Pro­duk­ten, die nicht die Beschä­di­gung der Pflan­ze zur Fol­ge hat, von der sie stammt. Dazu gehö­ren etwa Obst, Nüs­se und Getreide. 

ROHKOST
Roh­kost ist Nah­rung, die vor dem Ver­zehr nicht über 42 Grad erhitzt wird. 

VOLLWERTIG
Alles wird geges­sen, in mög­lichst opti­mal aus­ge­wo­ge­ner Zusam­men­stel­lung und weit­ge­hend naturbelassen. 

KLIMATARISCH
Klimatarier*in­nen ach­ten bei Lebens­mit­teln auf die CO2-Bilanz und den Was­ser­ver­brauch bei Her­stel­lung, Trans­port und Lage­rung – es wer­den also regio­na­le, jah­res­zeit­li­che Pro­duk­te bevor­zugt und kein Essen weggeworfen.

FREEGAN
Vega­ne Ernäh­rung und ein State­ment gegen die Weg­werf­ge­sell­schaft: Man nutzt Lebens­mit­tel, die im Müll lan­den – Stich­wort „con­tai­nern“.

CLEAN EATING
Natur­be­las­se­ne Lebens­mit­tel und der Ver­zicht auf Fer­tig­pro­duk­te oder indus­tri­ell gefer­tig­te Lebensmittel.

MAKROBIOTISCH
Basiert auf der asia­ti­schen Welt­an­schau­ung: Lebens­mit­tel wer­den nach dem Yin & Yang-Pri­zin­zip der Aus­ge­wo­gen­heit aus­ge­wählt und sind mög­lichst nicht ver­ar­bei­tet, son­dern naturbelassen.

KOSCHER & HALAL
Jüdi­sche bzw. mus­li­mi­sche Essens­re­geln. Bei­des bedeu­tet so viel wie „rein“. Zum Bei­spiel ist Schwei­ne­fleisch tabu und Tie­re wer­den auf eine bestimm­te Art geschlachtet.

PUDDING-VEGETARIER*INNEN
Essen kein Fleisch, haben aber einen eher unge­sun­den Ernäh­rungs­stil. Die Bezeich­nung ist abwer­tend gemeint.

Autorin: Nico­le Luft

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