Interview mit Dr. Jörg Kwapis, Leiter des Zentrums zur Therapie der Rechenschwäche Potsdam (ZTR), anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des ZTR Potsdam.
Herr Dr. Kwapis, Sie feiern das 25-jährige Jubiläum des Zentrums zur Therapie der Rechenschwäche in Potsdam. Wie entstand die Idee, ein solches Zentrum zu gründen?
Die Idee, Mathematik vernünftig und für jeden verstehbar zu erarbeiten, ist ja nicht neu. Zentren zur Therapie der Rechenschwäche gibt es in Deutschland seit über 35 Jahren. Nach meiner Dissertation habe ich meine Leidenschaft für die Unterstützung von Kindern, denen das Lernen nicht leichtfällt, zum Beruf gemacht. Mathematik lag mir da schon immer näher als andere Schulfächer. Zugleich habe ich gesehen, wie belastend das Lernversagen im Rechnen für Kinder ist.
Wie ging es in Potsdam los?
Zunächst habe ich mit einem Therapieraum begonnen; damals hatte ich noch keine KollegInnen. Das ZTR wuchs aber schnell, so dass wir schon nach einem Jahr umziehen mussten und nach weiteren zwei Jahren erneut. Seitdem sind wir an unserem jetzigen Standort in der Hebbelstraße 12.
Zum ZTR Potsdam gehören auch noch andere Standorte. Welche sind das und wie kam es zu dieser Entwicklung?
Aufgrund des großen Bedarfs haben wir in Kleinmachnow, in Babelsberg und in Brandenburg/Havel Standorte eröffnet. Unser Anliegen ist dabei auch, Fahrwege für die Familien zu verkürzen. Wir haben es erlebt, dass die Not so groß ist, dass sehr lange Fahrwege in Kauf genommen werden.
Herr Kwapis, wie entstehen Rechenschwächen?
Wer das Rechnen erlernen will, muss die Logik unseres Zahlsystems und der Rechenoperationen verstehen. In diesem Lernprozess bauen die Gedanken hierarchisch aufeinander auf. Wird ein Gedanke nicht oder falsch verstanden, kann der darauf aufbauende Gedanke nicht oder ebenfalls nur falsch verstanden werden. Diese Besonderheit beim Rechnenlernen wird in der Schule leider meist nicht beachtet. Der Lernstoff schreitet fort, auch wenn Kinder elementare Gedanken nicht verstanden haben. Das Fehlen dieser elementaren mathematischen Logik nennen wir Rechenschwächen.
Worauf führen Sie denn diese nicht oder falsch verstandenen Gedanken bei immer mehr Kindern zurück?
Immer weniger Kinder werden vor Schuleintritt mit vormathematischen Fragen konfrontiert: Wie viele sind es? Wie viele mehr als und wie viele weniger als sind es? Was kann ich tun, damit es gleich viele sind? …
Das Wissen um diese Zusammenhänge setzt Schule aber nach wie vor voraus. Wer diese Fragen nicht oder nicht richtig beantworten kann, kann den Einstieg in die Zahlenwelt nicht finden.
Zudem ist unser Mathematikunterricht stark auf Ergebnisse orientiert. Sag das Ergebnis und sag es schnell, dann bist du der Beste. Wer Mathematik verstehen will, muss sich aber mit den Inhalten beschäftigen, muss Inhalte erklären und Zusammenhänge begründen und Schlüsse ziehen können. Es geht darum, in „wenn-dann-weil-Beziehungen“ zu denken. Und das Ganze möglichst mit Spaß am Denken. Das wird in der Schule oft vergessen.
Wie lange benötigen die Kinder im Durchschnitt ihre Rechenschwäche zu überwinden oder ist sie ein Leben lang präsent?
Rechenschwäche ist keine Krankheit. Wer falsch über Zahlen denkt, ist nicht krank, sondern denkt etwas anderes. In seinem Kopf funktioniert alles. Wir erarbeiten mit den Kindern die Einsichten, die zum richtigen Zahlverständnis führen und das Rechnen ermöglichen. Dafür brauchen wir durchschnittlich zwei Jahre, wobei das sehr vom Alter der Kinder und deren Motivation abhängig ist. Wird die Rechenschwäche frühzeitig, Ende Klasse 1 bis Mitte Klasse 2 erkannt, sind wir häufig schneller am Ziel.
Was empfehlen Sie Eltern, die bemerken, dass ihre Kinder Probleme in Mathe haben?
Beobachten Sie Ihre Kinder beim Rechnen, stellen Sie immer wieder Verständnisfragen, bitten Sie Ihre Kinder, die Aufgabe und ihre Lösung dazu zu erklären und suchen Sie gemeinsam nach Lösungsideen. Geben Sie nicht einfach die Lösungen an. Wenn der Druck zu groß wird, wenden Sie sich an eine Facheinrichtung.