Text: JULIA LINDNER – Koordinatorin für Trauerarbeit, Kontakt- und Beratungsstellen beim KINDERHILFE – Hilfe für krebs- und schwerkranke Kinder e. V.
Versteckte Trauer hat ganz viele Gesichter und zeigt sich nach unseren Erfahrungen aus der langjährigen Arbeit mit trauernden Kindern und Jugendlichen auch noch Jahre nach dem Verlust. Oft so spät danach, dass die Symptome gar nicht mit der Trauer in Verbindung gebracht werden. Kinder und Jugendliche trauern anders als Erwachsene. Sie trauern in jeder Entwicklungsphase noch einmal neu – auf der Entwicklungsstufe, auf der sie sich dann befinden.
Ein Junge kam zu uns in die Trauergruppe, der 6 Jahre nach dem Tod des Vaters beschlossen hatte, nicht mehr zu sprechen. Er hat den Tod als sehr kleines Kind erlebt und er hat 6 Jahre nach dem Tod des Vaters keine Worte für seine Emotionen gefunden und ist verstummt.
Auch kann der Grund für eine versteckte Trauer darin liegen, dass die Kinder und Jugendlichen Verantwortung übernehmen für ihre verbleibenden Elternteile und Geschwister und daher einfach weiter funktionieren, dass sie möchten, dass alle wieder glücklich sind und daher nicht über die Trauer reden und ihr Platz einräumen oder sie sind einfach furchtbar wütend. Sie ecken plötzlich in der Schule an, haben Auseinandersetzungen mit Freunden, explodieren schnell und schreien rum oder machen Dinge kaputt. Auch das ist Trauer. Oft in Kombination damit, dass sie zuhause und in der Schule nicht über die Trauer oder die verstorbene Person reden wollen. Denn das macht traurig und noch wütender und dann sind die Emotionen so groß und lassen sich kaum halten.
In der Schule möchten viele einfach weiter so behandelt werden wie immer. Sie wollen Teil der Peergroup bleiben, so wie alle anderen sein. Sie wollen keine mitleidigen Blicke oder ständige Rücksichtnahme und keine verunsicherten Reaktionen. Deswegen wird auch in der Schule für die Trauer oft kein Platz gelassen. Das funktionierende und unveränderte Umfeld gibt Kraft und stärkt. Sie wollen das oft nicht aufgeben – verständlicherweise.
Also wird die Trauer verschoben beziehungsweise versteckt. Denn sie hat nirgendwo Platz. Und dadurch können viele Symptome entstehen – wie gesagt auch Jahre nach dem Todesfall – die auf den ersten Blick nicht unbedingt darauf zurückzuführen sind. Wir haben verstummte Kinder, wütende Kinder, Kinder und Jugendliche, die plötzlich ausbrechen, Internet- und Spielsucht, um sich abzulenken, Kinder, die viel zu angepasst sind, und Jugendliche, die nicht in die Ablösung von dem verbliebenen Elternteil gehen können und vieles mehr.
Auch unterschiedliche Trauerbedürfnisse und Trauerverhalten erschweren oft die Trauer. Jeder Mensch trauert anders und wenn in einer Familie zwei zurückbleiben, deren Trauerverhalten sehr unterschiedlich ist, kann auch das zu einer versteckten Trauer führen aus Rücksicht auf den anderen. Kinder und Jugendliche übernehmen oft die Verantwortung und schützen ihre Eltern und Geschwister, was dann dieses Verhalten noch begünstigt.
Durch unser Angebot beim Kinderhilfe e. V. können wir viel auffangen und den Kindern und Jugendlichen einen Platz für die Trauer bieten. Es ist gerade für sie sehr wichtig, dazuzugehören und Peergroups zu haben. Wir arbeiten an den Themen Trauer und Tod, Abschied, aber auch an Emotionen und vor allem auch an Stärken und Ressourcen. Stärken und Ressourcen sind das Gegengewicht zu den Krisen und schweren Dingen, die uns im Leben ereilen. Sie helfen uns, durch Krisen hindurchzugehen und Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Die größte Stärke und Ressource ist in den meisten Fällen jedoch das Zusammensein mit anderen, die dasselbe erlebt haben.
In den Kindertrauergruppen werden die Themen kreativ bearbeitet. Bei den Jugendlichen vor allem inhaltlich. Und das geschieht in einer vertrauensvollen und geschützten Umgebung. Natürlich sind wir auch mal traurig, aber meistens lachen wir sehr viel. Die Gruppen sind offen gehalten, um so einen Einstieg zu ermöglichen. Für all die, die nicht an Gruppen teilnehmen können oder möchten, bieten wir auch einzelne Termine an oder finden eine/n ausgebildete/n ehrenamtlichen Trauerbegleiter/in, der oder die regelmäßig Einzeltermine anbietet.
Jugendliche haben zudem die Möglichkeit, an unserer Trauerreise in den Herbstferien teilzunehmen, die die Möglichkeit bietet, sich stärker zu vernetzen, Freundschaften aufzubauen und noch intensiver an Themen zu arbeiten.
Beitrag aus Abschied nehmen Heft 1 September 2024
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